Praxis-Depesche 11/2003

Diagnose und Therapie der akuten Niereninsuffizienz

Nephrologen der Universität Chicago fassen in einer Übersichtsarbeit zusammen, worauf es bei Diagnose und Therapie des akuten Nierenversagens ankommt.

Zwischen 5 und 7% aller stationär behandelten Patienten entwickeln ein akutes Nierenversagen. Trotz aller medizinischen Fortschritte ist die Mortalität nach wie vor sehr hoch (je nach Schweregrad 20 bis 70%). Dies hat sich in den letzten 50 Jahren - in erster Linie wegen des wachsenden Anteils älterer und kranker Patienten - nicht verändert. Eine allgemein gültige Definition gibt es bislang nicht, doch es scheint sinnvoll, in folgenden Fällen von einer akuten Niereninsuffizienz zu sprechen: Anstieg des Serum-Kreatinins bis zu zwei Wochen lang um 0,5 mg/dl bei einem Ausgangswert von unter 2,5 mg/dl; Anstieg des Serum-Kreatinins um mehr als 20% bei einem Ausgangswert über 2,5 mg/dl. Die meisten Patienten sind asymptomatisch, die Diagnose wird anhand von Laborwerten gestellt. Mögliche Symptome sind Unwohlsein, Hämaturie, Flankenschmerz, Dyspnoe, Ödeme, Hypertonie oder Enzephalopathie. Das akute Nierenversagen präsentiert sich entweder mit einer Oligurie (weniger als 400 ml Urin/d) oder nicht oligurisch. Die Oligurie zeigt einen schwereren Nierenschaden an. Von einer Anurie spricht man bei einer Urinausscheidung von unter 100 ml/d. Nur wenige Unstände führen zu einer kompletten Anurie, dazu zählen vaskuläre Läsionen, totale Obstruktionen oder schwere akute tubuläre Nekrose. Das akute Nierenversagen kann verschiedene Ursachen haben: - prärenal: z. B. Hypovolämie, Hypotension, Medikamente (NSAR, ACE-Hemmer), Thrombose oder Embolie - intrarenal: z. B. Störungen im Bereich der kleinen Gefäße, der Glomeruli, Tubuli oder des Interstitiums - ostrenal: z. B. tumorbedingte Behinderungen im Bereich der Ureteren, des Blasenhalses oder der Urethra Anamnestisch und mit Hilfe der körperlichen Untersuchung lassen sich eine Reihe von Hinweisen auf die Ursache des Nierenversagens erheben. Für ein prärenales Nierenversagen sprechen anamnestisch Symptome und Störungen wie Erbrechen, Diarrhö, Hämorrhagie, Pankreatitis, Fieber, intraoperative Hypotension sowie eine Herzinsuffizienz oder Lebererkrankung in der Vorgeschichte. Bei der körperlichen Untersuchung können eine orthostatische Hypotension, verminderter Hautturgor, trockene Wangenschleimhäute, Ödeme oder Zeichen eines Leberschadens wegweisend sein. Auf ein intrarenales Nierenversagen weisen anamnestisch hin: Einnahme nephrotoxischer Medikamente, intravenöse Kontrastmittelgabe, invasive Angiographie, Hämoptysen, Sinusitis, Pharyngitis oder andere Infektionen, Muskeltrauma mit Rhabdomyolyse, roter Urin. Indizien bei der Untersuchung sind: Ödeme, Livedo reticularis, Petechien, palpable Purpura, Muskelspannung. Für ein postrenales Nierenversagen sprechen anamnestisch: abgeschwächter Harnstrahl, Nykturie, Anurie, häufiger Harndrang, Flankenschmerzen. Häufige Befunde sind: dilatierte Blase, vergrößerte Prostata, Raumforderungen in Abdomen oder Becken. Primär sollte die zugrunde liegende Ursache behandelt und möglichst früh ein Nephrologe hinzugezogen werden. Das intravaskuläre Volumen und der mittlere arterielle Blutdruck sind nach Möglichkeit zu normalisieren, Elektrolyt-Störungen müssen korrigiert und nephrotoxische Medikamente abgesetzt werden. Eine Hyperkaliämie kann medikamentös beseitigt werden. Inhalierte Beta-Agonisten, Insulin/Glukose (5 bis 10 Einheiten intravenös gefolgt von einer Ampulle 50% Glukose) und Natriumbikarbonat induzieren eine Verschiebung des Kaliums in den Intrazellulärraum, ohne dass das Gesamt-Kalium abnimmt. Mitunter wird Dopamin in Nierendosis (0,5 bis 2,0 µU/kg/min) verwendet, um eine akute Niereninsuffizienz zu behandeln oder zu verhindern. Jüngere Studien zeigen, dass diese Maßnahme in der Prävention oder Frühbehandlung des akuten Nierenversagens keinen Nutzen hat. Es ist nicht auszuschließen, dass die Dopamin-Gabe sogar ungünstige Auswirkungen hat. Eine Nierenersatztherapie ist erforderlich, wenn Hyperkaliämie, Volumenüberladung oder metabolische Azidose sich nicht anders korrigieren lassen. Andere Indikationen sind urämische Komplikationen wie eine Perikarditis oder Enzephalopathie. Eine intensivierte tägliche Dialyse senkt die Mortalität und kann das Erholen der Nierenfunktion beschleunigen, wie kürzlich nachgewiesen wurde. Wegen der hohen Morbidität, Mortalität und der assoziierten Kosten spielt die Prävention des akuten Nierenversagens eine entscheidende Rolle. Dazu gehört es, gefährdete Patienten rechtzeitig zu identifizieren. Als Risikofaktoren gelten höheres Alter, chronische Niereninsuffizienz, Diabetes mellitus, Übergewicht und Ikterus. Abgeschätzt werden kann die Nierenfunktion mit Hilfe der Cockroft-Gault-Formel: Kreatinin-Clearance = (149-Alter) x Idealgewicht (kg) (x 0,85 bei Frauen) /72 x Serum-Kreatinin. Ältere Menschen und Menschen mit geringer Muskelmasse (z. B. Patienten mit Leberkrankheit im Endstadium) können trotz normaler oder fast normaler Serum-Kreatinin-Werte eine eingeschränkte Nierenfunktion haben. Ein pharmakologisch induziertes akutes Nierenversagen lässt sich beispielsweise verhindern, wenn Medikamente adäquat dosiert werden. Da 10% der Fälle von akutem Nierenversagen im Klinikbereich nach Kontrastmittel-Applikationen erfolgen, wurden in jüngster Zeit verschiedene Methoden untersucht, dieses Risiko zu senken. In zwei Studien konnte gezeigt werden, dass die Kombination von Acetylcystein und 0,45% Kochsalzlösung die Inzidenz einer Kontrastmittel-Nephropathie bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz senken kann. (UB)

Quelle: Singri, Naveen: Acute renal failure, Zeitschrift: JAMA : THE JOURNAL OF THE AMERICAN MEDICAL ASSOCIATION, Ausgabe 289 (2003), Seiten: 747-751

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