Seuchen-Modellrechnung

Praxis-Depesche 7/2017

Erschossenwerden ist „ansteckend"

Jeden Tag werden in den USA über 200 Menschen Opfer von tödlicher oder nicht tödlicher Waffengewalt. Wie Forscher anhand von Bevölkerungsdaten aus Chicago nun feststellten, breiten sich Waffendelikte seuchengleich innerhalb der Bevölkerung aus. Ein Fall von Waffengewalt steckt quasi andere Menschen an, die dann ebenfalls Opfer von Waffen werden. Wie bei Krankheitsepidemien auch lässt sich das Risiko, erschossen zu werden, so vorhersagen.

Natürlich lassen sich diese Daten nicht eins zu eins auf die Verhältnisse in Deutschland übertragen, denn Waffengewalt ist bei uns wesentlich weniger verbreitet als in den USA mit ihrem 2. Zusatzartikel zur Verfassung („right of the people to keep and bear arms“). Dennoch ist es interessant zu verstehen, wie sich generell Verhaltensweisen innerhalb von Bevölkerungsgruppen ausbreiten.
In Chicago untersuchte man alle Fälle von Waffengewalt zwischen 2006 und 2014, insgesamt über 138 000 Personen, die innerhalb dieses Zeitraumes inhaftiert wurden. Man versuchte mittels zweier Modelle (ein demographisches und ein „sozial-infektiologisches“) ein Muster aus den Taten und Tätern in Abhängigkeit von deren sozialer Beziehung herauszulesen.
Soziale Ansteckung, also die Beeinflussung einer weiteren Straftat durch eine vorhergehende, trug zu 63% aller Waffengewaltepisoden bei. Im Durchschnitt dauerte es 125 Tage zwischen einem ersten und dem Folgedelikt. Ange- oder Erschossene waren im Schnitt älter als nicht von Waffengewalt Betroffene (23 vs. 27 Jahre), häufiger Männer (97 vs. 80%), öfter Schwarze (80 vs. 75%) und häufiger Gang-Mitglieder (52 vs. 24%). Die Opfer waren meist sozial und geographisch im Bevölkerungsnetzwerk konzentriert. Erstgradig mit einem Opfer Verwandte oder Bekannte wurden in 18% der Fälle später selbst Opfer (versus 10% ohne Beziehung zu einem Waffen-Opfer). CB
Quelle:

Green B et al.: Modelling contagion through social networks ... JAMA Intern Med 2017; 177: 326-33

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