Praxis-Depesche 7/2003

Management viraler Infektionen bei Karzinom-Patienten

Karzinom-Patienten mit geschwächter Immunabwehr tragen ein hohes Risiko, schwere Virusinfektionen zu erleiden. Mittlerweile steht für solche Situationen eine ganze Reihe therapeutischer Optionen zur Verfügung.

Bei Patienten, die wegen einer Leukämie behandelt werden oder eine Stammzell-Transplantation erhalten, sind virale Infektionen ein häufiger Grund schwerer Komplikationen. In den letzten beiden Dekaden wurden verschiedene potente antivirale Substanzen entwickelt, die ein effizientes Management unter anderem von Infektionen mit Herpes-simplex-Viren (HSV), Varizella-Zoster-Viren (VZV) und Cytomegalie-Viren (CMV) ermöglichen. Außerdem stehen mittlerweile auch neue Therapieoptionen für Infektionen mit Influenza-Viren zur Verfügung. HSV-1- und -2-Viren sind bei Patienten mit Malignomen ein häufiger Auslöser mukokutaner Läsionen. HSV-Infektionen sind meistens Reaktivierungen einer latenten Infektion, so dass eine antivirale Prophylaxe primär für HSV-seropositive Patienten in Frage kommt. Eine antivirale Therapie soll sowohl die Dauer der Infektionskrankheit verkürzen als auch die Disseminierung der Viren im Körper verhindern. Zur Verfügung stehen Aciclovir, Valaciclovir und Famciclovir. HSV-seropositive Karzinom-Patienten sollten während Phasen ausgeprägter Immunsuppression prophylaktisch Aciclovir (oral oder intravenös) erhalten. Patienten mit allogener Stammzelltransplantation, die eine akute Graft-versus-Host-Reaktion entwickeln, benötigen gewöhnlich eine prolongierte HSV-Prophylaxe. Die Bioverfügbarkeit von Valaciclovir und Famciclovir ist drei- bis fünfmal besser als die von Aciclovir. Obwohl es keine systematischen Studien dazu gibt, wird bevorzugt Valaciclovir zur Prävention einer HSV-Reaktivierung nach Stammzelltransplantation eingesetzt. Bei schweren mukokutanen oder viszeralen HSV-Komplikationen ist intravenöse Gabe von Aciclovir Therapie der Wahl. Orales Aciclovir, Valaciclovir oder Famciclovir können alternativ bei weniger schweren Manifestationen einer HSV-Erkrankung herangezogen werden. Klinische Manifestationen einer VZV-Infektion sind Windpocken und Gürtelrose. Kinder mit akuter Leukämie, die an Windpocken erkranken, haben ein stark erhöhtes Risiko für eine VZV-Pneumonie, deren Letalität bei rund 10% liegt. Die Gürtelrose ist Folge einer reaktivierten latenten VZV-Infektion und wird vor allem bei Patienten mit Leukämie oder Lymphomen sowie bei Empfängern einer autologen oder allogenen Stammzelltransplantation beobachtet. Windpocken oder Gürtelrose bei immundefizienten Karzinom-Patienten werden primär mit intravenösem Aciclovir behandelt. Bei Patienten mit lokalisierter Gürtelrose und leichter bis moderater Immunsuppression ist hoch dosiertes orales Aciclovir, Valaciclovir oder Famciclovir eine mögliche Alternative zur intravenösen Therapie. Die Prävention einer Windpocken-Infektion bei immundefizienten Patienten erfordert die strikte Isolation von infektiösen Personen. Nach einem Kontakt mit einer infizierten Person profitieren VZV-seronegative Patienten vermutlich von Infusionen mit VZV-Hyperimmunglobulin, falls dieses innerhalb von 96 Stunden postexpositionell verabreicht wird. Nach einer allogenen Stammzelltransplantation kann es auch noch nach längerer Zeit zu einer VZV-Reaktivierung kommen. Dennoch scheint eine langfristige antivirale Prophylaxe nicht indiziert, da sie zum einen den Ausbruch der Gürtelrose nur verzögert und zum anderen möglicherweise eine VZV-Resistenz begünstigt. Patienten, die wegen einer akuten Leukämie eine zytoreduktive Therapie erhalten sowie Empfänger einer allogenen Stammzelltransplantation haben ein hohes Risiko für schwere Cytomegalievirus-Infektionen. Stärkster Prädiktor einer CMV-Infektion nach allogener Stammzelltransplantation ist ein positiver CMV-Serostatus vor der Transplantation. Besonders gefürchtet ist die CMV-Pneumonie, deren Mortalitätsrate zwischen 45 und 78% beträgt. Prophylaktische hochdosierte intravenöse Aciclovir-Gaben vermitteln nur einen partiellen Schutz vor einer CMV-Erkrankung nach allogener Stammzelltransplantation. Prophylaxe mit Ganciclovir senkte in einer Studie die Erkrankungswahrscheinlichkeit, besserte aber nicht die Überlebensrate. In einer anderen Studie verbesserte frühe Therapie der CMV-Infektion mit Ganciclovir die Überlebensrate. Zunehmend wird von Infektionen mit resistenten Herpes-Virus-Stämmen bei Karzinom-Patienten berichtet. So besteht bei 7 bis 14% der Stammzell-transplantierten Patienten, die eine Aciclovir-Therapie erhalten, eine Resistenz der Viren gegen Aciclovir. Wie hoch die Resistenz-Raten von CMV gegen Ganciclovir bei Karzinom-Patienten sind, ist noch unklar. Bei AIDS-Patienten betragen sie bis zu 27%. Mittlerweile wird auch schon über multiresistente HSV- und CMV-Stämme berichtet, bei denen auch das bisher als Alternative eingesetzte Foscarnet versagt. Hier kann Cidofovir effektiv sein. Infektionen mit Influenza A- und B-Viren erhöhen die Mortalität und Morbidität immundefizienter Karzinom-Patienten deutlich. Ob Amantadin und Rimantadin, die ansonsten gesunden Menschen einen effektiven Schutz vor Influenza-A-Infektionen bieten, bei Karzinom-Patienten gleichermaßen effektiv wirken, ist noch unklar. Die neuen Neuraminidase-Hemmer Zanamivir und Oseltamivir wirken sowohl gegen Influenza A als auch gegen Influenza B. Ihre Wirkung bei Karzinom-Patienten muss allerdings noch untersucht werden. (UB)

Quelle: Reusser, P: Management of viral infections in immunocompromised cancer patients, Zeitschrift: Swiss Medical Weekly, Ausgabe 132 (2002), Seiten: 374-377

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