28. Deutscher Schmerz- und Palliativtag

Praxis-Depesche 4/2017

Mehr Vernetzung – mehr praxisnahe Leitlinien – mehr Daten

Die Forderung nach evidenzbasiertem Vorgehen lässt sich in der Schmerzmedizin nur selten mit dem Wunsch nach individualisierter Therapie in Einklang bringen. Mit der systematischen Sammlung und Auswertung von Versorgungsdaten und der Vernetzung aller beteiligten Fachgebiete wird nun die Bündelung der Schmerzkompetenz angestrebt.

Netzwerke für Schmerzpatienten
 
Um die Versorgung von Schmerzpatienten in Deutschland zu verbessern, plant die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS) den Aufbau von Netzwerken, die sich um die individuelle Behandlung jedes einzelnen Patienten kümmern. DGS-Präsident Dr. Gerhard Müller-Schwefe, Göppingen, sprach in diesem Zusammenhang von rund 3,4 Millionen schwerstkranken Patienten. Zu den Netzwerken sollten Hausärzte, Schmerzmediziner, Psychotherapeuten, Physiotherapeuten und algesiologische Fachassistenten gehören. Ein Netzwerk-Manager sollte die Behandlung in den verschiedenen Fachdisziplinen koordinieren. Voraussetzungen für die Umsetzung sind nach Müller-Schwefe Fortbildungen für alle am Netzwerk Beteiligten und politische Unterstützung. „Zentrales Ziel des Vorhabens ist, die wissenschaftlichen Erkenntnisse in eine flächendeckende und wohnortnahe Versorgung zu bringen“, erklärte Müller-Schwefe und schätzte: „95% der Schmerzpatienten ließen sich in der Nähe ihres Wohnortes gut versorgen“.
 
Mehr praxisnahe Leitlinien nötig
 
„Für die tägliche Patientenversorgung werden medizinische Leitlinien immer wichtiger und erhalten zunehmend auch eine rechtlich bindende Bedeutung“, betonte DGS-Vizepräsident Dr. Oliver Emrich, Ludwigshafen. Vor diesem Hintergrund hielt der Allgemeinmediziner Leitlinien, die sich allein auf externe Evidenz randomisierter, kontrollierter Studien stützen, für nicht mehr zeitgemäß. So stufte er zum Beispiel die nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz als „deutlich veraltet und praxisfremd“ ein. Das führte er zum einen darauf zurück, dass es ohnehin nur wenige randomisierte, kontrollierte Studien auf diesem Gebiet gibt. Zum anderen bemängelte er, dass neue Erfahrungswerte sowie die Bedürfnisse der Patienten in dem rein akademisch orientierten Vorgehen oft zu sehr vernachlässigt werden. Im Gegensatz dazu berücksichtigen die „PraxisLeitlinien“ der DGS seinen Ausführungen zufolge auch die „interne Evidenz“. In ihren neuesten Ausarbeitungen bieten sie wissenschaftlich fundierte und praxisnahe Orientierung zum „Fibromyalgiesyndrom“ sowie zur „Diagnostik und Behandlung von Patienten mit Opioidfehlgebrauch“ (nachzulesen auf der DGS-Website www.dgschmerzmedizin.de).
 
Leitlinien in der Schmerzmedizin sind „Dauerbaustellen“
 
Als bewährtes Beispiel für eine medizinische Leitlinie, in der die bestmögliche Evidenz aus der Literatur mit Expertenerfahrungen und Meinungen von Patienten zu ihren Beschwerden verbunden werden, führte Dr. Johannes Horlemann, Kevelaer, die DGS-Praxis-Leitlinie Tumorschmerz an. „Dabei verstehen sich die DGS-Praxis-Leitlinien nicht mehr als ein abgeschlossenes Endprodukt“, erklärte der Schmerzmediziner. „Vielmehr sind sie eine Dauerbaustelle, an der transparent alle Personengruppen teilhaben können, die in der Versorgung von Patienten mit Schmerzerkrankungen beteiligt sind.“
 
Datenflut soll Versorgungsforschung beflügeln
 
Ein wichtiger Anlaufpunkt für diese Dauerbaustelle besteht in der „PraxisUmfrage Tumorschmerz“, bei der die DGS in Kooperation mit der Deutschen Schmerzliga (DSL) die Symptombelastung bei Patienten mit tumorbedingten Dauer- und Durchbruchschmerzen abfragt. „Für eine gute Schmerzversorgung ist es notwendig, die zugrunde liegenden Schmerzen kontinuierlich zu evaluieren, um sowohl den Behandlungsbedarf als auch die Behandlungsintensität an die angestrebten Behandlungsziele anzupassen“, erläuterte Dr. Michael Überall, Nürnberg. Als wesentliches Ziel formulierte der DGS-Vizepräsident, „möglichst viele Daten zu sammeln – fachgebietsübergreifend von Ärzten über verordnete Therapien, aber auch von den Patienten selbst, die ihren subjektiven körperlichen und seelischen Zustand erfassen“. Sowohl die Generierung als auch die Beherrschung dieser ungeheuren Datenflut ist seinen Ausführungen zufolge erst durch die Fortschritte der Digitalisierung möglich geworden. Als Instrumente stehen dafür die Patientenplattform www.mein-schmerz.de und das „DGS-PraxisRegister Schmerz“ zur Verfügung. „Mit aktuell mehr als 146 000 eindeutigen Behandlungsfällen stellt das Praxis- Register Schmerz die weltweit größte pharmaunabhängige Datensammlung dar“, erläuterte Überall. „Unter Verwendung von nahezu 690 000 Komplexdokumentationen und 4,8 Millionen validierten Instrumenten zur Dokumentation umfasst der Datensatz mittlerweile mehr als 31 Millionen Schmerz-relevante Parameter. Von diesen betreffen 52,3% Patienten mit Rückenschmerzen, 15,8% Patienten mit Gelenkschmerzen, 9,6% Patienten mit Kopfschmerzen, 9,5% Patienten mit Nervenschmerzen und 12,8% Patienten mit sonstigen Schmerzen“, gab Überall erste Einblicke in die Erhebung. WM

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