29th ESMO Congress, Wien, 2004

Praxis-Depesche 24/2004

Tumorvakzine, Antisense-Therapie

Biologicals gewinnen in der Krebstherapie zunehmend an Bedeutung. Das bestätigt auch die Agenda des ESMO-Kongresses: Vorgestellt wurden zahlreiche Studien mit neuen Molekülen; auch die Patientenselektion für die molekular gezielte Therapie war ein wichtiges Thema.

Bei Patienten mit fortgeschrittenem nichtkleinzelligem Lungenkrebs (NSCLC) kann die Überlebenszeit mit einer liposomalen Vakzine verlängert werden. Der Impfstoff L-BLP25 enthält eine Sequenz aus 25 Aminosäuren des tumorspezifischen Glykoproteins MUC1, das auf NSCLC-Zellen überexprimiert wird. Die liposomale Formulierung verstärkt die Erkennung des Tumorantigens durch das Immunsystem, erläuterte Dr. Charles Butt, Edmonton/Kanada. Der Impfstoff wurde bei insgesamt 171 NSCLC-Patienten (IIIb/IV) erprobt, die zuvor auf eine Chemotherapie angesprochen hatten. 88 Patienten erhielten zunächst acht Wochen lang subkutane Injektionen des Impfstoffs; danach wurden in sechswöchigem Intervall Erhaltungsimmunisierungen durchgeführt. Die 83 Patienten im Kontrollarm erhielten eine alleinige Supportivtherapie. Durch die Impfung konnte die Überlebenszeit im Vergleich zur Kontrollgruppe verlängert werden (17,4 vs. 13 Monate). Die Immunisierung beeinflusste auch die Lebensqualität günstig: Sie blieb bei geimpften Patienten über längere Zeit auf konstant hohem Niveau als in der Kontrollgruppe. Als äußerst viel versprechend bezeichnete Butt die Ergebnisse in der Subgruppe von Patienten mit lokoregionärer Erkrankung (IIIb): Kontrollpatienten überlebten median 13 Monate; bei den vakzinierten Patienten ist die mediane Überlebenszeit noch nicht erreicht, da noch mehr als die Hälfte am Leben ist. Einen neuen Ansatz zur Neutralisierung von VEGF (vascular endothelial growth factor) und damit zur Hemmung der Tumorangiogenese stellte Dr. David Quinn, Los Angeles, vor. Veglin ist ein Antisense-Molekül, das die mRNA der VEGF-Subtypen A und C abfängt und so deren Synthese verhindert. Bereits 24 Stunden nach erstmaliger Applikation sinken die VEGF-Spiegel signifikant; diese eignen sich als Surrogatmarker zum Monitoring des Therapieverlaufs. In Phase-I-Studien konnten bei vorbehandelten Patienten mit Kaposi-Sarkom klinische Remissionen induziert werden. Auch Patienten mit kutanen T-Zell-Lymphomen sprachen ausgesprochen stark auf das Antisense-Molekül an; zudem wurden ausgeprägte Stabilisierungen erreicht, berichtete Quinn. Krankheitsstabilisierungen wurden außerdem bei bronchoalveolärem Karzinom, Nierenzellkarzinom, multiplem Myelom und Chondrosarkom erreicht. Alle bislang behandelten Patienten waren therapierefraktär und hatten auf eine konventionelle Chemo- oder Radiotherapie, aber auch auf Biologicals nicht mehr angesprochen. Als positiv bewertete Quinn außerdem die "überraschend geringe Toxizität" des Antisense-Moleküls. Bis zu Dosen von 150 mg/m2 wurde keine dosislimitierende Toxizität erreicht. Aufgrund der viel versprechenden Phase-I-Daten sind jetzt Phase-II-Studien mit Veglin als Monotherapie beim Nierenzellkarzinom, Kaposi-Sarkom und Mesotheliom geplant. Außerdem sollen Kombinationstherapien mit Taxanen, Anthrazyklinen und VEGF-Hemmstoffen geprüft werden. Darüber hinaus weisen präklinische Untersuchungen darauf hin, dass Veglin, das in den bisherigen Studien i.v. oder subkutan verabreicht wurde, in dimethylierter Form auch oral bioverfügbar und aktiv ist. Damit könnte das Antisense-Molekül zukünftig für langfristige Erhaltungstherapien von großem Interesse sein. Hodenkrebs ist der häufigste Tumor junger Männer. Dank der Ende der siebziger Jahre eingeführten Cisplatin-haltigen Chemotherapie können über 95% der Patienten geheilt werden. Damit steigt auch die Zahl der Langzeit-Überlebenden beträchtlich an, informierte Dr. Helge Sagstuen, Tromsö/Norwegen. Besorgnis erregten jedoch die - allerdings teilweise widersprüchlichen - Berichte über ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko ehemaliger Hodenkrebs-Patienten. Sagstuen und Mitarbeiter initiierten daher eine langfristige Nachbeobachtungsstudie bei knapp 1300 Männern, bei denen zwischen 1980 und 1994 Hodenkrebs diagnostiziert worden war. Bei den ehemaligen Patienten sowie einer Kontrollgruppe von über 2800 gesunden Männern wurden zwischen 1998 und 2002 regelmäßig systolischer und diastolischer Blutdruck und der Body Mass Index (BMI) gemessen. Die Follow-up-Studie weist auf ein Risiko für die Entwicklung von Hypertonie und Adipositas bei mit Cisplatin behandelten Patienten hin: Während Blutdruck und Körpergewicht operierter oder bestrahlter Patienten dem der gesunden Kontrollen entsprach, litten chemotherapierte Patienten vermehrt an Hochdruck und Übergewicht. Diese Tendenz nahm proportional mit der kumulativen Cisplatin-Dosis zu. Bei diesen Patienten plädierte Sagstuen für routinemäßige Blutdruck- und Gewichtskontrollen. Außerdem sollten die Betroffenen zu einer gesunden Lebensweise angehalten werden. Ebenso wichtig ist eine individuell angepasste Chemotherapie: "Eine Übertherapie bei prognostisch günstigen Patienten sollte unbedingt vermieden werden", betonte Sagstuen.

Alle im Rahmen dieses Internet-Angebots veröffentlichten Artikel sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch Übersetzungen und Zweitveröffentlichungen, vorbehalten. Jegliche Vervielfältigung, Verlinkung oder Weiterverbreitung in jedem Medium als Ganzes oder in Teilen bedarf der schriftlichen Zustimmung des Verlags.

x