Neuropathischer Kreuzschmerz

Praxis-Depesche 4/2017

Unterdiagnostiziert und unterbehandelt

Neuere Daten zeigen, dass bei bis zu der Hälfte der Patienten mit Kreuzschmerz neben der nozizeptiven auch eine neuropathische Komponente vorliegen kann. Das ist deutlich mehr als bisher angenommen, wie jetzt eine aktuelle Übersichtsarbeit zeigte.

Die Annahme, dass Kreuzschmerz fast ausschließlich nozizeptiv bedingt ist, ist überholt. Vielmehr muss man davon ausgehen, dass in 16 bis 55% der Fälle (je nach Definition und Methodologie) auch eine neuropathische Komponente vorliegt. In einer Studie wurde gezeigt, dass der neuropathische Anteil umso größer war, je weiter die Schmerzen nach distal ausstrahlten. Kreuzschmerzen mit neuropathischer Komponente sind häufiger mit schwererer Komorbidität, stärker reduzierter Lebensqualität und höheren Kosten verbunden.
Die neuropathische Komponente bei Kreuzschmerz entsteht an der Nervenwurzel, durch Läsionen von nozizeptiven Nervenaussprossungen oder inflammatorische Effekte in degenerierten Bandscheiben oder durch mechanische Kompression der Nervenwurzel.
Für eine optimale Therapie ist es wichtig, zwischen dem nozizeptiven und neuropathischen Anteil des Schmerzes zu differenzieren. Bei der Anamnese und körperlichen Untersuchung sollte die Verteilung des Schmerzes und alle sensorischen oder motorischen Zeichen innerhalb dieser Areale dokumentiert werden. Zudem sollten mögliche Hinweise auf neurologische Läsionen oder Erkrankungen erfasst werden. Typisch für den neuropathischen Schmerz sind schmerzhafte Anzeichen und Symptome in Arealen mit veränderter Sensorik. Kardinalsymptome des neuropathischen Schmerzes umfassen spontanen Schmerz, Allodynie und Hyperalgesie. Ziel ist es, die mögliche Lokalisation von zugrundeliegenden somatosensorischen Läsionen möglichst eindeutig zu identifizieren.
Die Diagnosetools DN4 (Douleur Neuropathique en 4 Questions), PainDetect (PD-Q) und Standardized evalulation of Pain (StEP) sind für Patienten mit Kreuzschmerz validiert und in der Praxis gut anwendbar.
Ziele der Behandlung sind die Reduktion der Schmerzen, die Erhaltung der Funktionsfähigkeit und die Verhinderung von zukünftigen Verschlechterungen. Um dies zu erreichen, sollten nicht-pharmakologische und pharmakologische Therapieansätze kombiniert werden. Die beim Kreuzschmerz breit angewandten NSAR und Paracetamol haben kaum Einfluss auf die neuropathische Schmerzkomponente. Die Datenlage für Antidepressiva und Gabapentin/Pregabalin ist limitiert. Lediglich für Tapentadol und ähnliche Substanzen liegen Hinweise für eine Wirksamkeit gegen neuropathischen Kreuzschmerz vor. Weitere effektive Therapieoptionen sind topische Analgetika, z. B. ein Capsaicin-Pflaster (8%) oder Lidocain-Pflaster (5%). BA
Quelle:

Baron R et al.: Neuropathic low back pain in clinical practice. Eur J Pain 2016; 6: 861-73

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