Schnupfen, Husten und Co.

Praxis-Depesche 1/2017

Weniger Antibiotika – mehr Komplikationen?

Geht eine restriktivere Verschreibung von Antibiotika gegen Infektionen der Atemwege mit einem erhöhten Komplikationsrisiko einher? Diese Frage stand im Mittelpunkt einer großen britischen Studie.

Kommentar

Was bedeuten nun die in der Studie ermittelten Zahlen für die Praxis? Für eine „durchschnittliche“ britische Praxis berechneten die Autoren folgendes Szenario. Würden in den Praxen der höchsten Quartile 10% weniger Antibiotikarezepte ausgestellt, müsste mit 1,1 mehr Pneumonien pro Jahr und 0,9 mehr Peritonsillarabszessen pro Dekade gerechnet werden. Damit, so die Autoren, ist eine substanzielle Reduktion der Antibiotikaverschreibungen mit einem nur sehr geringen Anstieg der beiden oben aufgeführten Komplikationen verbunden. Die Vorteile liegen laut der Autoren auf der Hand: Rückgang der Antibiotikanebenwirkungen, und in erster Linie eine Vermeidung bzw. Verringerung der Problematik der Antibiotikaresistenzen. Vorsicht bzgl. einer verringerten Verordnungshäufigkeit ist jedoch bei Patienten mit einem erhöhten Pneumonierisiko geboten. Man sollte also diese Daten im Hinterkopf behalten und im Einzelfall abwägen.

Redaktion Praxis-Depesche
In den meisten Fällen handelt es sich bei Atemwegsinfektionen (AWI) um viral bedingte und selbst limitierende Infektionen. Und obwohl Antibiotika hier nicht indiziert sind, greifen (gerade britische) Ärzte bei AWI trotzdem häufig zum Rezeptblock – möglicherweise getrieben von der Erwartungshaltung des Patienten und auch von der Angst vor bakteriellen Superinfektionen bzw. den damit verbundenen Komplikationen. Dies ist jedoch unbegründet, so die Ergebnisse einer aktuellen Studie.
Von 2005 bis 2014 wurden die Daten aus 610 Allgemeinarztpraxen mit insgesamt über vier Millionen Patienten ausgewertet. Als selbstlimitierende AWI wurden Erkältung, Pharyngitis, Laryngitis, Husten, akute Bronchitis, Otitis media und Rhinosinusitis berücksichtigt.
2005 erhielten 53,9% der männlichen und 54,5% der weiblichen AWI-Patienten ein Antibiotikarezept. Bis 2014 waren diese Werte leicht gesunken, und zwar auf 50,5% bzw. 51,5%. Parallel dazu wurden in den Praxen auch weniger Meningitiden (-5,3%), Mastoiditiden (-4,6%) und Peritonsillarabszesse (-1%) verzeichnet. Lediglich für Pneumonien wurde eine leichte Erhöhung (0,4%) beobachtet. Keine Veränderungen ergaben sich für die Rate an Empyemen und intrakraniellen Abszessen.
In der Quartile der Praxen mit der geringsten Verschreibungsrate (median bei 38% aller AWI) traten im Vergleich zur Quartile der Praxen mit den höchsten Verschreibungsraten (median bei 65% aller AWI) mehr Pneumonien und Peritonsillarabszesse auf. Die Inzidenzraten pro 100 000 Patientenjahre lagen bei 157 vs. 119 bzw. 15,6 vs. 12,9. Die Autoren errechneten bei einer um 10% geringeren Verschreibungshäufigkeit eine Erhöhung des relativen Risikos (RR) für Pneumonien bzw. Peritonsillarabszesse um 12,8% bzw. 9,9% (beide p<0,001). Für andere infektiöse Komplikationen wie Mastoiditis, Empyem, Meningitis oder intrakranielle Abszesse ergab sich kein Zusammenhang mit der Verschreibungsrate. GS
Quelle:

Gulliford MC et al.: Safety of reduced antibiotic prescribing for self limiting respiratory tract infections in primary care: cohort study using electronic health records. BMJ 2016; 354: i3410

Alle im Rahmen dieses Internet-Angebots veröffentlichten Artikel sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch Übersetzungen und Zweitveröffentlichungen, vorbehalten. Jegliche Vervielfältigung, Verlinkung oder Weiterverbreitung in jedem Medium als Ganzes oder in Teilen bedarf der schriftlichen Zustimmung des Verlags.

x