AIDS-Forschung der 1960er bis 1980er Jahre

Praxis-Depesche 8/2016

Affe-Mensch-Zusammenhang zu spät erkannt

1986 erschien die erste Praxis-Depesche. Es war eine Zeit, in der sich erst langsam die verheerende Wirkung eines neu entdeckten Virus, HIV, zeigte und die Zusammenhänge zwischen viraler Infektion, Immunschwäche, opportunistischen Infektionen und Krebs langsam klarer wurden. Zahlreiche Artikel in den Praxis-Depeschen dieser Jahre beschäftigten sich mit der damals noch unverstandenen Krankheit AIDS. 2016, drei Jahrzehnte später, erscheint nun eine Arbeit, die die damaligen wissenschaftlichen Entwicklungen nochmal aufrollt. Die Autoren erheben Vorwürfe an die damaligen Forscher. Im Kern besagen diese, dass tausende Leben hätten gerettet werden können, wenn damals nur jemand den Zusammenhang zwischen den seit 1960 bekannten SIV-Infektionen bei Affen mit den ersten HIV-Fällen beim Menschen hergestellt hätte.

1981 wurde AIDS erstmals beim Menschen benannt. Zwischen 1983 und 1985 wurde eine AIDS-Form bei Affen beschrieben, welche vom SI-Virus verursacht wurde (simian immunodeficiency virus). 1985 erhielt das humanpathogene Retrovirus den Namen HIV. Allerdings gab es bereits in den 1960er Jahren in US-Laboren, die an Primaten forschten, erste Epidemien von opportunistischen Infektionen bei Affen, die virologische und immunologische Ursachen hatten. Seinerzeit allerdings blieb dieses Syndrom unbeachtet. 1969 listete eine wissenschaftliche Veröffentlichung 23 Fälle von Lymphomen und Leukämien bei nichthumanen Primaten auf, die zwischen 1923 und 1968 aufgetreten waren.
1974 wurde erstmals eine Parallele hergestellt zwischen den Infektionen bei Affen und der Ätiologie der Infektionen beim Menschen. 1977 wurde über eine beeindruckende Ähnlichkeit zwischen PML (progressive multifokale Leukenzephalopathie) bei Affen und Menschen berichtet. Man fokussierte sich damals aber auf die virale Ätiologie und fragte nicht weiter, weshalb einige Affen mit einer bestimmten Parvovirusinfektion (SV-40) PML bekamen und andere nicht. Bis 1978 kam, trotz zunehmender Hinweise unter anderem auch aus Katzenversuchen mit felinen Leukämieviren, niemand auf die Idee, dass virale Infektion, Immundefizienz und maligne Erkrankung zusammenhängen könnten. Francis und Essex stellten 1978 die Hypothese auf, dass ein horizontal übertragbares Retrovirus und Lymphome bei Tieren und Menschen zusammenhängen könnten. 1983 erschien ein Bericht über eine AIDS-Epidemie in einer Makaken- Kolonie und beschrieb eine sehr auffällige Ähnlichkeit der Affen-Erkrankung mit humanen AIDS-Fällen. 1980 wurde von der Fachzeitschrift Virology ein Artikel abgelehnt, der erstmals von einem klaren Beweis sprach, dass Krebs beim Menschen von Viren verursacht werden könnte. Der Ablehnungsgrund: Solche Viren gäbe es nicht.
Die Autoren der historischen Aufarbeitung der AIDS-Entwicklung bedauern, dass nicht früher erkannt wurde, dass die AIDS-Fälle bei Affen Parallelen zu denen beim Menschen aufwiesen. Sie rechnen hoch, dass eine Beschleunigung der Erkenntnisse um nur einige Monate oder ein bis zwei Jahre einen großen Unterschied gemacht hätte, denn der AIDS-Epidemie-Verlauf war bekanntermaßen in den 1980er Jahren rasant: Bis 1981 gab es in den USA geschätzte 50 000 Infektionen, bis 1983 250 000 und bis 1986 gar 715 000. Eine nur minimal frühzeitigere Erkenntnis der Zusammenhänge hätte viele Leben retten können. Aber nach vorne blickend hat das Ganze auch etwas Gutes: Heutzutage existiert ein wesentlich schnellerer Austausch von Informationen. Ein Epidemie-Schwelbrand würde heutzutage schneller entdeckt werden.
Man geht aufgrund von genetischen Untersuchungen des HI-Virus in alten Blutproben übrigens davon aus, dass sich die „Wiege“ von AIDS in Kin shasa (ehemals Léopoldville) in der Demokratischen Republik Kongo befindet. Das Virus hatte 50 bis 70 Jahre Zeit, sich von dort aus unbemerkt zu verbreiten. CB
Quelle:

Hammett TM, Bronson RT: Unrecognized „AIDS“ in monkeys, 1969-1980: explanations and implications. Am J Public Health 2016; 106: 1015-22

ICD-Codes: Z21

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