Deutscher Schmerzkongress, Berlin, 3.-7.10.2001

Praxis-Depesche 24/2001

Analgesie: Versäumnisse und Möglichkeiten

Schmerzen machen das Leben zur Qual. Rund zehn Millionen Deutsche, d. h. etwa 8% der Bevölkerung, leiden unter chronischen Schmerzen, meist in Kopf oder Rücken. Wie man diesen Patienten helfen kann, darüber diskutierten unter dem Motto "Gemeinsam den Durchbruch schaffen" etwa 2000 Forscher, Ärzte und Psychologen.

Beim Rückenschmerz ist gerade der Hausarzt in einer verantwortungsvollen Position: Meist der Erstbehandelnde, muss er zwischen Patienten mit unkomplizierten Beschwerden und denen mit schweren bis alarmierenden Symptomen differenzieren und die geeignete Therapie einleiten bzw. die sofortige Weiterbehandlung durch den Spezialisten veranlassen, betonte H.-R. Casser, Staffelstein. Vielfach gelingt die Differenzialdiagnose mit präziser Anamnese und Schmerzanalyse, wobei Dauer, Art und Lokalisation der Beschwerden, Auswirkungen auf Alltagsaktivitäten und Beruf sowie Ansprechen auf eine vorherige Therapie zu erfragen sind. Unverzichtbar ist außerdem eine ausführliche klinische Inspektion inklusive Rücken-Bein-Untersuchung und ein neurologischer Check. Fallen bei diesem Erst-Screening keine schweren körperlichen oder psychischen Erkrankungen auf, reicht die befundorientierte Therapie durch den Hausarzt, so Casser. Allerdings sollte der erstbehandelnde Arzt in der Lage sein, körperliche Funktionsstörungen wie Gelenkblockierungen oder Muskel-Dysbalancen zu diagnostizieren und therapeutisch anzugehen. Liegen dagegen spezifische Rückenerkrankungen vor, d. h., finden sich "red flags", also Hinweise auf Infektionen, Tumoren oder neurologische Symptome bis hin zum Cauda-equina-Syndrom, ist unverzüglich der Orthopäde oder Neurologe zu kontaktieren. Bei schweren psychischen Störungen wie Neurosen oder Depressionen, den so genannten "yellow flags", die eine Chronifizierung der Schmerzen begünstigen, ist die Mitbehandlung durch einen Psychotherapeuten ratsam. Individuelle Bewältigungsstrategien spielen laut M. Hasenbring, Bochum, im Umgang mit Schmerzen eine wichtige Rolle. Ein hohes Risiko für eine Chronifizierung haben Patienten mit starkem ängstlichem Schon- und Vermeidungsverhalten, die deswegen beispielsweise aufgehört haben, Hobbys nachzugehen oder Sport zu treiben. Die Folge: Die Muskulatur wird zu wenig beansprucht; die resultierende Muskelinsuffizienz führt aufgrund neurophysiologischer Sensibilisierungsprozesse selbst bei normaler Belastung zu schmerzhaften Reaktionen. Ebenso verkehrt ist ein ausgeprägtes Durchhalte-Verhalten: Betroffene unterdrücken ihre Schmerzen gedanklich (kognitive Suppression) und sind nicht in der Lage, entspannungsfördernde Pausen in ihren Alltag zu integrieren. Diese suppressiven Strategien führen zu einer erhöhten muskulären Aktivität, die langfristig schmerzverstärkend wirkt. Aber nicht immer sind nur patientenspezifische Faktoren ursächlich für eine Schmerz-Chronifizierung. Auch der Arzt kann laut K. Wolber, Ravensburg, eine Mitschuld tragen. Eine wichtige Rolle spielen beispielsweise Defizite in der Arzt-Patienten-Kommunikation. Der Patient sollte immer über einen gutartigen Verlauf informiert werden; andererseits sollten ungenaue Formulierungen bei der Diagnose ebenso wie eine "Katastrophisierung" des Befundes vermieden werden. Selten, aber dafür umso heftiger ist eine Kopfschmerz-Variante, der Sexualkopfschmerz. Betroffen ist nur etwa 1% der Bevölkerung. Vorzugsweise tritt dieser Kopfschmerz bei Männern auf, berichtete S. Evers, Münster. Die Patienten, meist im Alter von 25 bis 50 Jahren, klagen über explosiven Schmerz im gesamten Kopf während des Orgasmus. In der Regel klingt die Attacke anschließend rasch ab. Etwa die Hälfte der Betroffenen leidet gleichzeitig auch an Migräne oder Spannungskopfschmerz. Die Ätiologie ist bislang nicht geklärt; als Ursache werden Störungen in der Selbstregulation zerebraler Arterien vermutet. In Einzelfällen kann allerdings auch eine Subarachnoidalblutung, ein ischämischer Hirninfarkt oder ein Tumor für die plötzlich auftretenden Schmerzen verantwortlich sein. Bei Erstmanifestation sollte daher zur Abklärung ein Computertomogramm erstellt werden; bei nicht eindeutigem Befund ist auch eine Lumbalpunktion indiziert. Die Schmerzen lassen sich weitgehend vermeiden, wenn der Liebesakt nicht gar so stürmisch und schnell vollzogen wird. Außerdem helfen Acetylsalicylsäure (1 g) oder Indometacin (100 mg), eine Stunde vor dem Verkehr eingenommen. Als Langzeitprophylaxe empfahl Evers Propranolol (200 mg/d), Verapamil oder wiederum Indometacin.

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