Fortbildungswoche Dermatologie / Venerologie, München, 23.-28.7.2000

Praxis-Depesche 21/2000

Atopisches Ekzem - reich an Facetten

Über die Ursache(n) des Krankheitsbildes der Neurodermitis gab es (der Vielfalt an Namen entsprechend) immer wieder neue Theorien. Derzeit steht das Etikett Allergie im Vordergrund. Man müsse sich aber klarmachen, dass dies nur ein Aspekt des komplexen Phänomens sei, betonten die Experten.

Man hat es heute mit einem Flickenteppich zahlreicher Erklärungsansätze zur Pathogenese der chronischen Hauterkrankung zu tun. Fest steht: Sie ist das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels genetischer Faktoren und Umwelteinflüsse. Nach Beobachtungen aus Skandinavien ist die Darmflora beim Säugling oder Kleinkind für die Ausrichtung des Immunsystems und damit eine Neigung zu entzündlichen Reaktionsformen der Haut entscheidend. Auch Tiermodelle bestätigten einen Einfluss der Darmflora auf die unterschiedliche funktionelle Ausprägung der T-Helferzellen. Der transepidermale Wasserverlust bzw. die gestörte Barrierefunktion scheint nach T. Bieber, Bonn, kein Folgeproblem der Entzündungsreaktionen zu sein, sondern auf einem primären Defekt der Keratinozyten zu basieren. Eine italienische Gruppe konnte zeigen, dass Zellen von Patienten mit atopischem Ekzem im Vergleich mit solchen von Kontrollpersonen auf exogene Trigger verstärkt mit der Ausschüttung von Zytokinen reagieren. Dass sich bei sehr vielen Neurodermitis-Patienten eine kutane Besiedlung der Haut mit Staphylokokken findet, weiß man schon länger. Inzwischen ist die vielfältige aktive Beteiligung der Bakterien an den pathologischen Immunvorgängen wissenschaftlich gut belegt: So sezernieren sie Superantigene, die in der Lage sind, die T-Zellen polyklonal zu stimulieren, daneben scheint es auch eine spezifische Immunisierung gegen S. aureus zu geben, und schließlich verstärken Staphylokokken auch die Antigen-präsentierende Fähigkeit der Langerhans-Zellen. Man geht daher davon aus, dass die Keime bei Initiierung und Chronifizierung des Entzündungsgeschehens eine wichtige Rolle haben. Es macht also Sinn, so Bieber, sich auch in der Praxis stärker mit diesen Keimen zu beschäftigen und zu versuchen, gegen eine vermehrte Besiedlung der Haut vorzugehen. Möglicherweise eine Brücke zum Verständnis der sog. intrinsischen atopischen Dermatitis, also jener Form, bei der sich keine Beteiligung bestimmter Allergene ausmachen lässt, bildet die Entdeckung, dass auch eine Autosensibilisierung ein pathogenetischer Faktor bei der Atopie sein kann: Einer Wiener Arbeitsgruppe gelang der Nachweis spezifischer IgE-Antikörper gegen ein humanes Molekül bei Neurodermitikern; das gefundene Protein nannte man Hom s 1. Da es sich um eine intrazelluläre Struktur handelt, nimmt man an, dass sich diese Autoreaktivität in der Folge von Entzündungs- und Zerstörungsreaktionen entwickelt. Von der weiteren Erforschung des Phänomens verspricht man sich einen gewaltigen Schub in Richtung eines besseren Verständnisses der Neurodermitis. Schon länger ist bekannt, dass Elimination bzw. Karenz gegenüber den als Auslöser der allergischen Rhinitiden und des allergischen Asthmas bekannten Aeroallergenen bei vielen Betroffenen die Hauterscheinungen reduzieren kann. Die Entdeckung hochaffiner IgE-Rezeptoren in großer Zahl auf den Langerhans-Zellen von Atopikern bot eine Erklärung dafür, wie diese Antigen-präsentierenden Zellen in der Lage sind, solch große luftgetragene Allergene wie Pollen oder Hausstaubmilben-Antigene gezielt zu binden und so auch in Anwesenheit geringer Allergenmengen Entzündungsreaktionen einzuleiten. Den praktischen Beweis für die Relevanz dieser Antigene für den Krankheitsverlauf bringt der Atopie-Patch-Test, also die Epikutantestung mit Aeroallergenen mit nachfolgender Beurteilung der dadurch ausgelösten Ekzemreaktion - bei vielen Betroffenen fällt er positiv aus. Die Arbeitsgruppe um U. Darsow, München, hat das Verfahren standardisiert; man hofft, dass die Testkits bald auf dem Markt sein werden. Genau genommen, so J. Ring, München, könnte man bei jenen Patienten, bei denen die IgE-vermittelte Sensibilisierung eine nachweisbare Rolle spielt, in Analogie zum klassischen allergischen Kontaktekzem von einem "atopischen Kontaktekzem" sprechen. Dabei dürfe man nie vergessen, dass auch die Aeroallergene nur einer von vielen Reizen sind, welche die Krankheit unterhalten können. Wenn der Atopie-Patch-Test allerdings eindeutig positiv ausfällt, weshalb sollte man dann den Neurodermitiker nicht hyposensibilisieren? Ring jedenfalls hält entsprechende Studien mit modernen Extrakten für angezeigt. Therapeutisch erhofft man sich derzeit viel von den lokal anwendbaren Makrolid-Immunsuppressiva. Anders als beim systemisch hochwirksamen Ciclosporin, gibt es von Tacrolimus (FK 506) auch in äußerlicher Anwendung vielversprechende Studiendaten: Damit erzielte man bei Erwachsenen wie Kindern bereits nach wenigen Tagen eine markante Besserung. Da das Medikament keine Hautatrophie verursacht - Hauptvorteil gegenüber den Kortikoiden -, ist das Auftragen auch im Gesicht unbedenklich. Unter Kurzzeitbehandlung sind außer lokalen Irritationen keine Nebenwirkungen beobachtet worden. Das Wirkprinzip könnte alternativ oder in Ergänzung zu Steroiden eingesetzt werden. Tacrolimus ist in Japan bereits für die Indikation Neurodermitis zugelassen. Dem komplexen Charakter der Erkrankung entsprechend wird man aber auch in Zukunft nicht nur die trockene Haut mit einer geeigneten Basispflege behandeln und Salben oder Tabletten verschreiben, sondern vor allem versuchen müssen, ursächliche Faktoren aus Luft, Nahrung, Psyche oder Hautflora aufzuspüren.

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