Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin, Berlin, 2002

Praxis-Depesche 3/2003

Auf der Suche nach Leitlinien

Die Betreuung Drogenabhängiger hat in Deutschland einen hohen Stand erreicht. Die Therapie basiert allerdings hauptsächlich auf Erfahrung; qualitativ hochwertige Studien sind noch selten. Der letzte Kongress für Suchtmedizin hatte sich zum Ziel gesetzt, Leitlinien für Prävention und Versorgung zu formulieren, auch um Anschluss an die internationale Suchtmedizin zu finden.

Bei komplizierten Erkrankungen ohne einfachen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung, die langjährig bestehen und eine interdisziplinäre Kooperation erfordern, ist das Spektrum angebotener Therapieverfahren meist breit; viele davon sind ungeprüft. Suchterkrankungen sind als Prototyp dieser Krankheitsformen anzusehen, erklärte J. Gölz, Berlin, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS). Eine Standardisierung ärztlichen Handelns in Form von Leitlinien sei gerade hier geboten, aber: "Der suchtkranke Patient entzieht sich eher der Forschung". Insgesamt ist die Datenbasis in der Suchtmedizin laut Gölz spärlich. Die besten evidenzbasierten Daten liegen für die Therapie der HIV-Infektion und der Hepatitis C bei Drogenabhängigen vor, sodass hier Empfehlungen ausgesprochen werden können. Die Hepatitis C ist die häufigste Infektion bei intravenös Drogenabhängigen: Über 90% sind mit dem Hepatitis-C-Virus (HCV) infiziert und haben ein hohes Risiko für Folgeerkrankungen wie Leberzirrhose und hepatozelluläres Karzinom. "Bislang wurde diesen Patienten eine Therapie meist vorenthalten; sie wurden stigmatisiert", kritisierte M. Backmund, München. So hieß es noch 1997 in den USA und 1999 in Europa, dass vor der Behandlung der Hepatitis C mit Interferon und Ribavirin eine Abstinenzphase von sechs bzw. zwölf Monaten einzuhalten sei - eine nicht validierte Forderung, die laut Backmund ethisch unzulässig ist. Seine Arbeitsgruppe hat mittlerweile nachgewiesen, dass die Therapie-Compliance bei Suchtpatienten nicht schlechter ist als bei nicht drogenabhängigen Patienten. Auch die Methadon-Substitution ist laut Backmund keine Kontraindikation für die Behandlung der aktiven HCV-Infektion, im Gegenteil: Bei Patienten, die sich einer Substitutionstherapie unterziehen, ist die Therapieabbruchrate eher noch niedriger, vermutlich weil sie ohnehin festen Kontakt zur ärztlichen Praxis haben. Auch der Therapieerfolg ist gut: Drogenabhängige sind häufig mit dem günstigeren HCV-Genotyp 3a infiziert; die Heilungsrate unter der Therapie mit pegyliertem Interferon und Ribavirin liegt hier bei bis zu 80%. Auch beim HCV-Genotyp 1 kann etwa die Hälfte der Infizierten erfolgreich behandelt werden. Die Therapie sollte durch Ärzte erfolgen, die Erfahrungen sowohl in der Suchtmedizin als auch in der Hepatitis-Therapie haben, empfahl Backmund. Er wies darauf hin, dass im Anschluss an eine Therapie Sekundärprävention nötig ist, um Reinfektionen zu vermeiden. Dass ein Hepatitis-Präventionsprogramm die Infektionsrate halbieren kann, haben Schweizer Präventivmediziner in einer mehrjährigen Untersuchung belegt. Aufgrund der neuen Daten haben die NIH in den USA einen Konsens erarbeitet, an dem auch die DGS mitgewirkt hat. In dem 2002 publizierten Papier wird gefordert, aktiven Drogenbenutzern die Hepatitis-C-Behandlung nicht vorzuenthalten. Auch die Methadon-Substitution ist kein Ausschlusskriterium mehr. Auf der Grundlage des NIH-Konsens wurden auf der DGS-Tagung Leitlinien für die Behandlung suchtkranker Hepatitis-C-Patienten entwickelt, die auf das deutsche Versorgungssystem zugeschnitten sind.

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