Polyzythämien

Praxis-Depesche 20/2005

Auf der Suche nach molekularer Abgrenzung der Polycythaemia vera

Die Unterscheidung der Polycythaemia vera von anderen Polyzythämien kann eine große Herausforderung für den Arzt bedeuten. Die neuesten Erkenntnisse auf diesem Gebiet werden in einer Übersicht aus Texas vorgestellt.

Die Polycythaemia vera (PV) ist die häufigste Form der Polyzythämien, bei denen man primäre und sekundäre, z. B. durch Erythropoietin ausgelöste, sowie angeborene und erworbene Formen unterscheidet. Die PV ist nach schwedischen Daten die häufigste myeloproliferative Erkrankung und ensteht durch somatische Veränderung einer einzelnen hämatopoetischen Stammzelle, was zur klonalen Hämatopoese führt. Da die dafür verantwortlichen molekularen Defekte noch nicht bekannt sind, ist man sich über Diagnose und Therapie nicht einig. Primäre Polyzythämien zeichnen sich durch exzessives Ansprechen von Erythrozyten-Vorläufern auf Zytokine aus. Über eine im Chuvash-Gebiet an der Wolga endemische Polyzythämie (CP) ist inzwischen einiges bekannt. Durch eine Mutation eines VHL genannten Proteins wird der Abbau des hypoxia-inducible factor HIF1-alpha, eines Teils eines Sauerstoff-Spürsystems, gebremst. Dies führt u. a. zu verstärkter Produktion von Erythropoeitin und dem vascular endothelial growth factor. Da die Vorläuferzellen bei CP übermäßig auf Erythropoeitin reagieren, muss noch ein zweiter, bisher unbekannter Defekt vorliegen und die CP ist zu den primären und sekundären Polyzythämien zu rechnen. Auf der Suche nach Defekten bei PV setzt man verschiedene Strategien ein: u. a. Fahndung nach Chromosomen-Anomalien, Gen-Expressionsmessung (eine Zunahme der mRNA eines PRV-1 genannten Gens unbekannter Funktion fand sich bei klonalen neutrophilen Granulozyten bei PV), funktionelles Klonen (Transfer einer mRNA aus PV-Zellen in normale Stammzellen) und Erforschung der seltenen familiären PV. Für die Diagnose der PV wäre ein einfacher Test wünschenswert, den es bis heute leider nicht gibt. Die Aufdeckung endogener erythroider Kolonien (EEC) in Blut- oder Knochenmarkskulturen ist wohl der spezifischste Test für PV, aber aufwändig und teuer. Niedrige Erythropoeitin-Spiegel sprechen für PV, sind aber nicht pathognomonisch, während erhöhte oder mittelhohe Werte eine PV im allgemeinen ausschließen. Die Bestimmung der bei PV erniedrigten Thrombopoeitin-Rezeptoren ist schwierig und nicht spezifisch. Mit den PRV-1-mRNA-Werten lässt sich nicht zuverlässig zwischen PV, angeborenen Polyzythämien und verschiedenen Erkrankungen mit Thrombozytose unterscheiden. Bestimmungen der Klonalität zirkulierender myeloider Zellen ist generell nur bei Frauen, aber nicht in allen Fällen, möglich. Es wird vermutet, dass die PV nicht mit einem einzelnen Genlocus verknüpft ist, der allein den PV-Phänotyp verursachen könnte, sondern dass ihr mehrere genetische Ereignisse zugrunde liegen. (EH)

Quelle: Prchal, JT: Polycythemia vera and other primary polycythemias, Zeitschrift: CURRENT OPINION IN HEMATOLOGY, Ausgabe 12 (2005), Seiten: 112-116

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