Praxis-Tipps für das Management von Zuckerkranken

Praxis-Depesche 6/2020

COVID-19 und Diabetes mellitus

Im renommierten Journal Lancet Diabetes Endocrinol ist nun ein neuer Bericht erschienen, der speziell die Interaktionen zwischen COVID-19 und Diabetes mellitus darstellt und praktische Tipps gibt, auf was man bei Diabetikern mit einer SARS-CoV-2-Infektion achten sollte.
Der Diabetes mellitus stellt eine der wichtigsten Komorbiditäten dar, die den Verlauf einer Coronavirusinfektion beeinflussen können (und das gilt für alle drei bekannten humanpathogenen Coronaviren, und damit auch für das COVID-19-auslösende SARS-CoV-2). Im Rahmen der aktuellen Pandemie wird berichtet, dass je nach Region zwischen 20 und 50 % der Corona- Patienten unter einem Diabetes leiden. Das Vorliegen einer Zuckerkrankheit erhöht dabei das Risiko, dass eine SARS-CoV-2-Infektion letal endet, um 50 %. Hierfür gibt es mehrere Erklärungsansätze: Ein Diabetes mellitus schwächt generell das Immunsystem, was zu schwereren COVID-19-Verläufen führen könnte. Die Prävalenz eines Diabetes mellitus ist bei älteren Menschen ohnehin höher, und höheres Alter ist mit anderen Erkrankungen z. B. des Herzkreislaufsystems assoziiert. Aber es gibt auch spezifische Mechanismen der Interaktion zwischen Diabetes und Corona: ACE2 (Angiotensin- Converting-Enzyme 2) konnte als die Zielstruktur des Coronavirus-Spike- Proteins identifiziert werden. Und ACE2 wird auch auf den Pankreas-Betazellen gefunden. Ein weiteres Enzym, das einen Diabetes- Corona-Link erklären könnte, ist die DPP4 (Dipeptidyl-Peptidase 4): DPP4 ist als Ziel für neuere pharmakologische Diabetes- Therapien wohlbekannt, konnte aber in Zellstudien auch als funktioneller Rezeptor bei MERS-Viren identifiziert werden (eine Subgruppe der Coronaviren).
 
Experten-Panel-Empfehlung
COVID-19 ist noch zu jung, um Empfehlungen aus großen randomisierten Studien ableiten zu können. Also bleibt nur die Expertenmeinung. Und die Experten der vorliegenden Arbeit konnten sich zum jetzigen Zeitpunkt auf folgende Empfehlungen einigen:
Ambulante Patienten mit Diabetes mellitus sollten in der jetzigen Situation besonders darauf hingewiesen werden, ihren Blutzucker gut einzustellen. Zudem sollte die medikamentöse Therapie bestmöglich angepasst werden. Eine etablierte Diabetes- Therapie sollte im Moment besser nicht „leichtfertig“ umgestellt werden. Damit Diabetiker keinem unnötigen Infektionsrisiko ausgesetzt werden, sollte man auf die Möglichkeiten der Telemedizin zurückgreifen und die häusliche Behandlung so gut es geht unterstützen.
 
Als Ziele einer Diabetes-Therapie werden in der Arbeit definiert:
Plasmaglucose zwischen 72 und 144 mg/dl einstellen (bei gebrechlichen Patienten gilt 90 mg/dl als Ziel) HbA1c unter 7 % halten bei CGM (kontinuierliche Glucosemessung) sollte die Glucose-Time-in-range über 70 % liegen und die Hypoglykämie- Rate nicht über 4 % (Werte für Gebrechliche > 50% bzw. < 1%).
 
Medikation anpassen
Metformin: Bei einer Dehydrierung durch COVID-19 kann eine Lactatazidose auftreten – dann kann das Absetzen von Metformin notwendig werden. Während der akuten Erkrankung sollte die Nierenfunktion überwacht werden und Metformin generell besser abgesetzt werden.
SGLT2-Inhibitoren: Auch hier kann die Dehydrierung und Ketoazidose ein Absetzen notwendig machen. Während akuter respiratorischer Probleme sollten SGLT2-Inhibitoren nicht neu verordnet werden. Die Nierenfunktion sollte auch hier überwacht werden. Im akuten COVID-19-Fall sollte man diese Substanzklasse also ebenfalls besser absetzen. Prophylaktisch sollten allerdings weder Metformin noch SGLT2-Inhibitoren bei Patienten (ohne COVID-19-Symptomen) abgesetzt werden.
GLP-1-Agonisten: Dehydrierung kann auch hier zu einem schweren Krankheitsverlauf führen, daher sollten Patienten engmaschig überwacht werden. Regelmäßige Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme sollten angestrebt werden.
DPP4-Hemmer: Präparate mit diesen Wirkstoffen werden in der Regel gut vertragen und können fortgeführt werden.
Insulin: Eine Insulin-Therapie sollte wegen einer COVID-19-Erkrankung nicht beendet werden. Die Patienten sollten dazu angehalten werden, ihren Blutzucker alle zwei bis vier Stunden selbst zu messen (oder kontinuierlich: CGM). Hinweis: Während einer COVID-19-Erkrankung kann der Insulinbedarf drastisch ansteigen und manchmal nur noch i.v. zu decken sein.
Insgesamt sollte man im akuten Krankheitsfall immer eine Flüssigkeitsüberladung vermeiden, denn diese kann die respiratorischen Symptome noch verstärken. Da bei COVID-19 häufig auch eine Hypokaliämie entsteht, muss der Kaliumspiegel im Auge behalten werden.
Auch die Behandlung eines Hypertonus und von Dyslipidämien spielt selbstverständlich bei SARS-CoV-2-positiven Patienten eine wichtige Rolle. Aktuell wird die Fortsetzung von ACE-Inhibitor- und AT2-Rezeptorblocker-Therapien empfohlen, auch wenn diese Therapien theoretisch die Aufnahme des SARS-CoV- 2-Virus in die Zellen via ACE2 unterstützen könnten. Auch Statine sollten nicht abgesetzt werden, obwohl diese über ACE2 einen Einfluss auf den Infektionsverlauf haben könnten. CB
Quelle: Bornstein SR et al.: Practical recommendations for the management of diabetes in patients with COVID-19. Lancet Diabetes Endocrinol 2020; Epub Apr 23; doi: 10.1016/ S2213-8587(20)30152-2
ICD-Codes: U07.1

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