ESMO-Kongress, Hamburg, 13.-17.10.2000

Praxis-Depesche 4/2001

Darmkrebs - neue Perspektiven

Die Therapie des fortgeschrittenen kolorektalen Karzinoms ist in Bewegung. So stehen nach fast 50 Jahren Stagnation gleich mehrere neue Verbindungen mit unterschiedlichen Angriffspunkten zur Verfügung.

Mit ca. 55 000 Neuerkrankungen im Jahr ist das kolorektale Karzinom bei uns einer der häufigsten soliden Tumoren. Sowohl adjuvant, im UICC-Stadium III, als auch in der palliativen Therapie ist Fluorouracil (5-FU) Standard. In den letzten Dekaden wurde viel versucht, um die 5-FU-gestützten Protokolle zu optimieren. Sämtlichen Modifikationen der Applikationsschemata (protrahierte Infusion versus Bolus-Therapie) und "Biomodulationen" zur Wirkungsverstärkung - die Kombination mit Folinsäure (FA) ist heute etabliert - war nur mäßiger Erfolg beschieden. Nachdem lange Jahre kein wirklicher Fortschritt in Sicht war, ist - zunächst bei der palliativen Chemotherapie - einiges in Bewegung geraten: So stehen mit Irinotecan und Oxaliplatin zwei neue Substanzen zur Verfügung, deren Wirksamkeit auf jeweils unterschiedlichen Mechanismen beruht und die mit Fluoropyrimidinen synergistisch wirken sollen. In kontrollierten Studien haben beide Präparate, kombiniert mit 5-FU, ihren therapeutischen Nutzen in der First-line-Therapie demonstriert. Remissionsraten von bis zu 50% mit diesen modernen chemotherapeutischen Konzepten und ein mittleres Überleben von 14 bis 17 Monaten haben die Therapie dieser Krebserkrankung immerhin einen Schritt vorangebracht, ist H. Wilke, Essen, überzeugt. Auch nach Versagen eines ersten Regimes profitieren Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom durchaus noch von einer Second-line-Therapie. Gegenwärtig versucht man vorrangig zu klären, wie die verfügbaren Optionen am besten eingesetzt werden, um ein Optimum an Überlebensvorteil aus ihnen zu ziehen. In vergleichenden Studien will man z. B. herausbekommen, ob der sequenzielle Einsatz der einzelnen Substanzen ihrer Kombination überlegen ist. Einen wesentlichen Fortschritt bringen sicher die oralen Alternativen zu 5-FU, von denen man sich vor allem ein praktikableres Regime erhofft: Die Dauerinfusionen sind arbeitsaufwendig und erfordern zahlreiche zusätzliche Klinikbesuche. Das Legen zentralvenöser Zugänge ist in etwa einem Drittel der Fälle mit Komplikationen wie Thrombosen und Infektionen verbunden. Inzwischen gibt es Prodrugs (Capecitabine, UFT), die intestinal gut resorbierbar sind und in klinischen Studien gezeigt haben, dass sie gleich gut wirken wie die Standardmedikation, dabei jedoch erheblich verträglicher sind, was z. B. gastrointestinale Nebenwirkungen oder auch neutropenisches Fieber angeht. Vor allem aber ist ihr Einsatz mit weniger Einbußen an Lebensqualität verbunden. Auch bei der adjuvanten Chemotherapie - erst seit gut zehn Jahren allgemein anerkannt - sieht es ganz nach "greifbaren Fortschritten in der nahen Zukunft" aus, spekulierte J. Wils, Roermond/Niederlande. Würden die innovativen Wirkprinzipen auch für diese Therapieform genutzt, eröffne das vielleicht den Weg zu maßgeschneiderten Therapien. Zwischen 15 und 30% der Patienten zeigen bereits zum Zeitpunkt der Diagnose Lebermetastasen, bei noch einmal so vielen treten sie binnen dreier Jahre auf. Unbehandelt leben die Betroffenen im Mittel noch sechs bis 18 Monate; bilaterale Absiedlungen verschlechtern die Prognose weiter. Nur in jedem zehnten Fall ist eine Operation möglich. Nach gelungener Resektion darf ein beträchtlicher Teil der Patienten immerhin als geheilt angesehen werden; von krankheitsfreien Überlebenszeiten von 20 Jahren und mehr wird berichtet. An spezialisierten Zentren liegt die mit dem Eingriff assoziierte Sterberate zwischen 1 und 2%. Die Entfernung von bis zu drei Viertel des Lebergewebes verkraftet der Organismus - sofern die Leberfunktion nicht bereits eingeschränkt oder eine postoperative Chemotherapie geplant ist. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle sind die Metastasen nicht operabel; es bleibt die systemische Behandlung. Den Hauptvorteil der neuen Zytostatika sieht R. Adam, Villejuif/Frankreich, auf Seiten der Lebensqualität. Anders sei es, wenn die primäre Chemotherapie initial inoperable Metastasen einer Resektion zugänglich machen. Chronomodulation, also eine Abstimmung der Gabe der verschiedenen Medikamente auf zirkadiane Rhythmen, erlaubt die Applikation höherer Dosisintensitäten; chemotherapeutische Regime werden dadurch effektiver und zugleich besser verträglich. In Villejuif hat man darunter hohe Ansprechraten erzielt. Von 330 Patienten, deren Metastasen ursprünglich als nicht operabel angesehen wurden, konnten nach der neoadjuvanten Therapie 53, also 16% einer Operation zugeführt werden. In einer Studie mit 151 Patienten erlaubte die primäre Systemtherapie mit einer Oxaliplatin-haltigen Dreifachkombination in 77 Fällen (51%) einen Eingriff; bei 58 Patienten wurden die Metastasen makroskopisch komplett reseziert. Jeder Fünfte aus dem Studienkollektiv ist nach neun Jahren noch am Leben. H.-J. Schmoll, Halle, erinnerte daran, dass es sich hier um Patienten handelt, die nach bisherigen Erfahrungen kaum zwei Jahre überleben. Die erfolgreiche Metastasektomie nach einer modernen First-line-Chemotherapie eröffnet damit Chancen auf ähnlich gute Langzeit-Prognosen wie bei primärer Operation.

Alle im Rahmen dieses Internet-Angebots veröffentlichten Artikel sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch Übersetzungen und Zweitveröffentlichungen, vorbehalten. Jegliche Vervielfältigung, Verlinkung oder Weiterverbreitung in jedem Medium als Ganzes oder in Teilen bedarf der schriftlichen Zustimmung des Verlags.

x