Endocrinology of the Life Span

Praxis-Depesche 4/2020

DGE-Kongress: Wissenschaftliche Erkenntnisse

Anlässlich des 63. Deutschen Kongresses für Endokrinologie vom 4. bis 6. März in Gießen trafen sich hochkarätige Referenten, um unter dem Motto „Endocrinology of the Life Span“ aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zusammenzutragen.
Superandrogene aus der Nebennierenrinde
DGE-Kongresspräsident Prof. Stefan A. Wudy von der Justus-Liebig-Universität Gießen referierte über das Stressorgan Nebenniere als Produzent von Superandrogenen. Er beschrieb eine aktuelle Untersuchung von Meeresbiologen an Knochenfischen die zeigt, dass nicht die allseits bekannten „klassischen“ männlichen Geschlechtshormone wie Testosteron wirksam sind, sondern eine neue Klasse männlicher Hormone für die Hormonwirkung verantwortlich ist. Einige dieser Hormone weisen eine äußerst starke Wirkung auf, sodass man sie heute als Superandrogene klassifiziert. „Bisher kannten wir nur sehr schwache Androgene, die in der Nebennierenrinde produziert werden“, berichtet Wudy. Allerdings zeigen neueste Untersuchungen, dass eine weitere Gruppe sogenannter 11-oxygenierter Androgene existiert. „Diese Hormone besitzen ein zusätzliches Sauerstoffatom, was ihre Wirkung deutlich verstärkt“. Neben den Hoden erhält jetzt die Nebenniere eine weitere wichtige Rolle als Produktionsort hochpotenter Androgene im endokrinen System. „Künftig müssen also bei der Einschätzung des menschlichen Hormonstatus diese Superandrogene und damit der Einfluss der Nebenniere ins Konzert der Hormonwirkungen miteinbezogen werden“, so Wudy. Superandrogene werden aber auch bei Frauen produziert. So können verschiedene Erkrankungen der Nebennieren dazu führen, dass die Produktion dieser hochpotenten Androgene sprichwörtlich aus dem Ruder läuft. Mögliche Folgen (Störungen der Pubertät, Entstehung von PCOS, unerfüllter Kinderwunsch oder eine Beteiligung an der Entstehung verschiedener Krebsarten) werden derzeit intensiv diskutiert.
 
Fingerspitzengefühl ist gefragt
Vor übertriebenem Einsatz von Insulin, Schilddrüsenhormon und Testosteron warnten Hormonexperten im Vorfeld des Kongresses – denn dieser könne im Alter sogar mehr schaden als nutzen. „Unter dem Schlagwort Endokrinoseneszenz galt es, Hormondefizite normnah auszugleichen“, berichtet Prof. Cornelius Bollheimer von der Uniklinik RWTH Aachen. Doch alle Versuche, durch Geschlechtshormone, Wachstumshormone, Melatonin oder Testosteron das Altern aufzuhalten, sind nach Einschätzung des Lehrstuhlinhabers für Altersmedizin gescheitert. Studien hätten gezeigt, dass gerade bei alten Menschen Hormongaben mit Bedacht verordnet werden müssen. Beispielsweise kann eine straffe Behandlung bei Diabetes mellitus, die Blutzuckerwerte wie beim jungen Menschen anstrebt, schnell zur Unterzuckerung führen, für die laut Bollheimer ältere Menschen anfälliger sind als junge. Auch bei der Schilddrüse gelten für ältere Menschen heute andere Regeln. Eine häufige Störung ist hier die subklinische Schilddrüsenunterfunktion. Doch hier fehlen Hinweise, dass Patienten mit einer subklinischen Schilddrüsenunterfunktion in irgendeiner Weise von der Hormonbehandlung profitieren. Die neuen Erkenntnisse bedeuten indes nicht, dass ältere Menschen nicht auf Blutzucker, Schilddrüse und Testosteron achten sollten. Die Hormonwerte sollten kontrolliert und in den spezifischen biologischen und medizinischen Kontext des jeweiligen Patienten gesetzt werden, betont DGE-Kongresspräsident Prof. Andreas Schäffler vom Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM).
 
Gefahr Metaflammation
Übergewicht und Adipositas sollten nicht nur als „ästhetisches Problem“ wahrgenommen werden, sie gefährden die Gesundheit. Denn die Fettzellen produzieren eine Reihe von Hormonen und greifen damit aktiv in den Stoffwechsel ein. Bei übergewichtigen und adipösen Menschen kann es dabei zu einer Entzündungsreaktion kommen. „Bei einer Blutuntersuchung zeigt sich dies in einem Anstieg des C-reaktiven Proteins“, erläutert Schäffler. Hormonexperten bezeichnen diese durch den Stoffwechsel (Metabolismus) ausgelöste Entzündung (Inflammation) als Metaflammation. In diesem Kontext entzündet sich auch lokal das Fettgewebe im Bauchraum (Adipoflammation), was das Stoffwechselrisiko der Patienten unmittelbar erhöht.
„Langzeitstudien zeigen, dass Menschen mit einem erhöhten C-reaktiven Protein häufiger Herzinfarkte oder Schlaganfälle erleiden. Die Blutgefäße verkalken auch dann, wenn die Cholesterinwerte normal sind“, so Schäffler. Die Entzündungsreaktion ist dem Experten zufolge auch an der Entwicklung des Typ-2-Diabetes beteiligt. Noch wurde kein geeignetes Medikament gefunden, weshalb Betroffenen aktuell nur die Möglichkeit der Diät, einer Magenverkleinerung oder einer Darmverkürzung bleibt. DM

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