Schilddrüse

Kongressbericht

Praxis-Depesche 6/2021

Diabetes und Endokrinologie: Wechselwirkungen und Schnittstellen

Diabetes mellitus und andere endokrine Erkrankungen standen im Fokus einer Veranstaltung im Rahmen des Kongresses „Innere Medizin fachübergreifend – Diabetologie grenzenlos“. Ihre möglichen gegenseitigen Beeinflussungen und Störungen sind vielfältig.
Subklinische Hypothyreose
Bei Metformin-behandelten Diabetiker:innen, die zusätzlich T4 zur thyreotischen Unterstützung erhielten, konnte eine reversible TSH-Erniedrigung beobachtet werden und Sulfonylharnstoffe der ersten Generation führten zu einer hohen Inzidenz von Hypothyreoidismus, berichtete Prof. Jörg Bojunga, Frankfurt. Dieser Effekt wurde bei Präparaten der zweiten Generation nicht mehr gesehen. Im Tiermodell mit Inkretin- Mimetika aufgetretene unerwünschte Effekte wurden beim Menschen nicht notiert. Auch Insulin erhöht fT4, erniedrigt T3 und moduliert TRH und TSH.
Bojunga stellte die Frage, wann eine sogenannte subklinische oder latente Hypothyreose behandlungsbedürftig sei. Das Risiko einer Progression zur Hypothyreose scheint auch bei älteren Diabetiker:innen gering zu sein, und erst bei einem TSH von 7 mU/L steigt das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen merklich. Nach aktuellen Metaanalysen enttäuschte die Substitution von Schilddrüsenhormonen. Der Einfluss auf Gehstrecke, kognitive Funktionen, BMI, Lebensqualität und depressive Symptome blieb begrenzt bis nicht unterscheidbar zum Placebo. Gerade bei Frauen berge die Hormongabe die Gefahr, hyperthyreot zu werden, warnte Bojunga. Ein Hinweis galt den großen Schwankungen bei Labormessungen von z. B. TSH. Deshalb sollte nach drei Monaten eine Kontrollmessung, vielleicht in einem anderen Labor, veranlasst werden. Abschließend bat Bojunga, Überdiagnostik und Übertherapie wie L-T4- und Jodid-Gabe oder Strumektomie v. a. bei älteren Patient:innen zu vermeiden.
 
Hypopituitarismus
Prof. Karsten Müssig, Georgsmarienhütte, listete differenzialdiagnostische Ursachen der Hypoglykämie wie schwere Lebererkrankungen, Insulinome, Nebennierenrinden- Insuffizienz, schwere Nierenerkrankungen, Hypopituitarismus, Insulin- Autoimmunsyndrom, Sepsis, Medikamente (Beta-Blocker, Pentamidin) und Malnutrition (Anorexia nervosa). Der Hypopituitarismus wird auf eine Inzidenz von 2–4/100.000/Jahr geschätzt und ist in bis zu 61 % der Fälle durch einen Hypophysentumor bedingt. Der häufigste Hormonausfall betrifft LH/FSH, gefolgt von TSH-, ACTH- und GH-Mangel. Nicht tumoröse Ursachen schließen die Radiatio ein, in 74 % als Folge der Bestrahlung eines Nasopharynxkarzinoms. Dabei zeigt sich der Hypopituitarismus erst bei längerer Follow- up-Dauer: nach 1 Jahr in 6 % der Fälle, nach 5 Jahren bereits in 62 %. Vor allem bei Kindern führt der Wachstumshormonmangel zu Nüchtern-Hypoglykämien und Insulin-Hypersensitivität.
Zur Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer/tertiärer Nebennierenrinden- Insuffizienz können schon das Hautkolorit und der ACTH-Wert dienen. Bei primärer Ursache sind die Haut dunkler und das ACTH hoch, bei sekundärer/tertiärer Ursache imponieren Blässe und normales oder vermindertes ACTH. Wichtig war Müssig noch der Hinweis, dass bei Hyponatriämie Hydrokortison großzügig und ohne Abwarten der Diagnosesicherung zügig gegeben wird.
 
Knochengesundheit bei Diabetes
Typ-2-Diabetiker:innen profitieren nicht von höherer Knochenmasse und niedrigerem Umbau, so Prof. Walter Josef Fassbender, Hirslanden. Den Grund vermutete er in einer höheren Sturzrate und beeinträchtigten Knochenqualität. Zudem korrelierten bei diesen Diabetiker:innen erniedrigte PTH-Werte mit einem 5-fach höheren Risiko für vertebrale Frakturen. Nach der DVO-LL von 2017 ist Typ-1-Diabetes bei Frauen und Männern verbunden mit einem 3- bis 6-fachen relativen Risiko (RR) für proximale Femurfrakturen und dem 2- bis 3-fachen RR für Wirbelkörperfrakturen. Für Hüftfrakturen zeigte eine schottische Erhebung ein bis zu 3-fach erhöhtes Risiko verglichen mit Nicht-Diabetiker:innen, und Typ-2-Diabetes war verbunden mit einem 1,5-fachen RR für proximale Femurfrakturen. Abschließend gab Fassbender auf Nachfragen aus dem Auditorium noch eine Empfehlung: „Bei einem erwachsenen Typ-1-Diabetiker mit 5- bis 10-jähriger Krankheitsdauer würde ich durchaus auf die Knochengesundheit achten – mit Knochenlabor und ggf. Knochendichtemessung.“ FW
ICD-Codes: E03.9
Urheberrecht: Rasi_adobestock

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