Eine etwas andere Jahresbilanz:

Praxis-Depesche 12/2010

Ein Vertragsarzt heute - vom Halbgott in Weiß zum Deppen der Nation?

Es gibt eine Fülle berufspolitischer Widrigkeiten in unserem Beruf, mit denen man sich in der Vergangenheit zwangsläufig arrangieren musste: Honorarbudgetierung, Umsonst-Arbeit, Pflichtfortbildung, Bürokratismus, Regressdruck sind nur ein paar Beispiele. Doch es gibt eine gesellschaftspolitische Entwicklung, die ich nach über drei Jahrzehnten vertragsärztlicher Tätigkeit als ganz besonders unangenehm und demotivierend empfinde: Ich meine jenen Paradigmenwechsel in der Gesellschaft, den Ärzten mit zunehmender Respektlosigkeit zu begegnen, Engagement, fachliche Qualität und Ehrenhaftigkeit primär in Frage zu stellen bis hin zur extremen Haltung in bestimmten Medien oder Politikerkreisen, Mediziner „zum Abschuss frei zu geben“. Vom Halbgott in Weiß also zum Deppen der Nation?

Ein früher wie selbstverständlich vorhandenes Grundvertrauen dieser Ge­sellschaft in den Medizinerstand ist durch entsprechende Politik- oder Medienschelte bei angeblichen, vermuteten oder tatsächlichen Ärzteskandalen in Form von Abrechnungsbetrügereien, Kunstfehlern, Bestechungsvorwürfen bei vielen Patienten durch eine latent aggressive „Hab-Acht-Stellung“, gepaart mit Respektverlust gegenüber den Ärzten, abgelöst worden.

Praxisgebühr? Der Arzt will sich bereichern! – Aut-idem-Regelung? Der Arzt verweigert aus Boshaftigkeit liebgewonnene Medikamente! – Verweigerung von Medikamenten und Heilmitteln durch Regressdruck und Wirtschaftlichkeitsprüfung? Der Arzt hat kein Verständnis für den Patienten! – Die Wahl des Haus- oder Facharztes wird heute zunehmend nicht mehr so wie früher durch Ruf und Kompetenz des Mediziners bestimmt, sondern bei immer mehr Patienten durch temporäre und in den eigenen Zeitplan passende Verfügbarkeit, „Patientengängigkeit“ und den Wunsch, die eigenen finanziellen und egoistischen Interessen auf Kosten der Solidargemeinschaft mit Hilfe eines entsprechenden Mediziners ohne große Widerstände durchsetzen zu können. Die sattsam bekannten Sozialneidkampagnen tun ein Übriges, eine zunehmende Respektlosigkeit gegenüber den Medizinern zu forcieren. Dabei ist es wenig tröstlich, dass andere Berufe in dieser Gesellschaft wie Polizisten, Richter, Päda­gogen diesen Paradigmenwechsel ebenfalls zu spüren bekommen.

Das konsequente Ein- und Rückfordern von Respekt gegenüber diesem Gesellschaftstrend beginnt in jeder einzelnen Haus- oder Facharztpraxis. Zauberformeln wie ein klares „Nein!“ (oder im Extremfall auch einmal ein deutliches „Raus!“) sind Möglichkeiten, das eigene Selbstwertgefühl zu erhalten und letztlich eine Patientenklientel an die Praxis zu binden, für die Respekt und Vertrauen dem Arzt gegenüber selbstverständlich und ein wichtiger Bestandteil des Arzt-Patienten-Verhält­nis­ses sind. Für eine solche Patientenklientel lohnt es sich dann auch, trotz aller oben aufgeführten Berufswidrigkeiten weiterhin ein engagierter Arzt und Lebensbegleiter zu sein. Eine Honorarfallpauschale von knapp über 10 Euro im Monat sollte ein ausreichender Grund sein, diesem Paradigmenwechsel in der Gesellschaft in der eigenen Praxis mit Nachdruck entgegenzutreten!

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