COVID-19-Infektion

Praxis-Depesche 5/2020

Ein Virus verändert die kardiologische Welt

COVID-19 stellt auch Kardiologen vor vielfältige Herausforderungen. Doch sie könnten auch etwas gewinnen, nämlich die kostbarste aller Ressourcen: Zeit.
Die aktuelle Situation in der Corona-Krise erinnert an den Roman von Albert Camus „Die Pest“. Der Schriftsteller, der selbst an Tuberkulose erkrankt war, schildert darin den Verlauf der Pestseuche in der Stadt Oran Anfang der 40er Jahre. Jeder nimmt diesen schier ausweglosen Kampf gegen den „Schwarzen Tod“ auf seine Weise auf, das Absurde bleibt stetiger Begleiter: Unschuldige Kinder sterben genauso wie Menschen, die es scheinbar verdient haben.
Vor welche Herausforderungen die COVID-19- Erkrankung die Medizin stellt, diskutieren die Autoren einer Abhandlung im European Heart Journal. Gerade für Ärzte in den Krankenhäusern droht ein Dilemma dahingehend, dass eine Rationierung der verfügbaren Beatmungskapazitäten unumgänglich werden könnte, wobei das Alter des Patienten allein kein hinreichendes Kriterium darstellen darf; denn jedes Leben ist gleichwertig. Entscheidend bei solchen Abwägungen sollte die Erfolgsaussicht der Behandlung sein. Auch müssen konkurrierende moralische Werte gegeneinander abgewogen werden, nämlich Sicherheit und Gesundheit gegenüber Freiheit.
Die Autoren sehen auch für die Kardiologen große Probleme. Sie befürchten, dass kardiologische Notfälle aus Angst vor der Infektion das Krankenhaus meiden könnten. Durch die Dominanz des Themas „Coronavirus“ können auch kardiologische Notsituationen verkannt werden, da bei Dyspnoe und Thoraxschmerzen nur an COVID-19 gedacht wird. Dazu kommt, dass kardiologische Intensivbetten in Infektionsbetten umgewandelt werden und elektive kardiologische Eingriffe vertagt werden müssen. Der kardiologische Patient könnte durch eine Unterversorgung gefährdet werden. Und da ist auch noch der organisatorische und hygienische Mehraufwand, um kardiologische Patienten vor einer Infektion zu schützen.
Doch bringt Corona auch etwas Positives für die Kardiologen? Ja, nämlich mehr Zeit für die Patienten und sich selbst; denn die Kongresse und auch Seminare, sprich der Kongresstourismus, sind vollkommen zum Erliegen gekommen. Man spricht von einem akuten „Kongress-Deprivationssyndrom“.
Ein Nachteil ist natürlich der fehlende akademische Meinungsaustausch, die fehlende intellektuelle Inspiration. Es bleibt aber mehr Zeit für die Selbstreflexion, die vielleicht genauso wichtig ist wie eine intakte Atmung. Und auch die kardiologische Welt wird nach der Pandemie eine andere sein als die davor. PS
Quelle: Rapezzi C, Ferrari R: The cardiologist at the time of coronavirus: a perfect storm. Eur Heart J 2020; 41(13): 1320-2
ICD-Codes: U07.1

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