Plazentophagie

Praxis-Depesche 4/2019

Essen oder vergraben?

In der heutigen Praxis fragen immer mehr Schwangere ihre Gynäkologen, ob Plazentophagie, also das Verspeisen der Plazenta, zu empfehlen sei. Prominente „Vorbilder“ tragen ein übriges zu dem (vor allem in den USA grassierenden) Hype bei. Die wissenschaftliche Sicht auf das Thema ist eindeutig.

Die Plazenta enthält viel Prostaglandin und etwas Oxytocin. Ratten, die ihre Plazentae fraßen, wiesen danach höhere Spiegel an Prolactin im Blut und niedrigere an Progesteron auf. Darüber hinaus fand man einen gewissen analgetischen Effekt der Plazentophagie bei Nagetieren. Biochemisch scheint die Plazentophagie also durchaus Effekte zu haben.
Das Plazenta-Gewebe kann roh, gekocht, gebraten, dehydriert, als Smoothie oder Tinktur oder – die häufigste Form – verkapselt verspeist werden. Hierfür wird die gefrorene Plazenta aufgereinigt, bearbeitet und in Gelatinekapseln zur Einnahme abgefüllt.
 
Nichts als Mythen
 
Die Verfechter reklamieren Effekte gegen postpartale Depression, für eine generell bessere Stimmung und mehr Energie, einen besseren Milcheinschuss und die Reduktion postpartaler Blutungen. Alle Berichte über Wirkungen sind aber anekdotisch oder basieren auf Selbstbeobachtung; wissenschaftliche Evidenz gibt es nicht. In der einzigen randomisiert-kontrollierten Studie wurden Plazenta-Kapseln mit Placebo verglichen und der Eisenstatus der Patientinnen ausgewertet. Die Eisenwerte waren in der Verumgruppe zwar höher, aber nicht statistisch signifikant (die Plazenta-Kapseln deckten nur 24 % des täglichen Eisenbedarfs).
 
Infektions- und Toxizitätsrisiko
 
Kürzlich wurde eine Warnung der CDC (Centers for Disease Control and Prevention in den USA) zur Plazentophagie veröffentlicht. Hintergrund: Ein reif geborenes Kind musste wegen einer B-Streptokokkensepsis stationär behandelt werden. Die Mutter hatte Plazenta-Kapseln eingenommen, deren Inhalt positiv auf den identischen Streptokokkenstamm getestet worden war. Aber auch andere Infektionen wie z. B. HIV, Hepatitis oder Zika können (theoretisch) nicht ausgeschlossen werden. Grund ist, dass die Aufbereitungsprozeduren der Verkapselungs-Anbieter nicht standardisiert sind und möglicherweise keine zur Keimabtötung ausreichende Erhitzung sicherstellen.
Neben Infektionen des Neugeborenen könnten Intoxikationen von Mutter und Kind eine Rolle spielen. In einer aktuellen Studie konnte das Schwermetall Cadmium in geringen Mengen in Plazenta-Kapseln nach- gewiesen werden. Denk- bar ist aber auch die Akkumulation von Schadstoffen aus Tabak, Alkohol oder Drogen. Ein indirekter Hinweis darauf ist, dass Mütter nach Plazentophagie häufig über Kopfschmerzen klagen.
 
Eine deutliche Empfehlung ...
 
Zusammenfassend sehen die Autoren in der Plazentophagie keinen klinischen Nutzen. Es bestehen aber Risiken. Eine weniger riskante Alternative ist vielleicht der Brauch, die Plazenta unter einem Baum zu vergraben und diese Pflanze zusammen mit dem neuen Kind beim Wachsen zu begleiten ... CB
Quelle:

Farr A et al.: Human placentophagy: a review. Am J Obstet Gynecol 2018; 218: 401.e1-11

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