Fitnesstracker auf dem Smartphone zeigt Herzfunktion

15. Herbsttagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft

Praxis-Depesche 1-2/2022

Fitnesstracker in der Medizin: Welchen Werten kann man trauen?

Die Genauigkeit von Fitnesstrackern zur Bestimmung metabolischer Daten schwankt extrem und ist zudem schlecht vorhersagbar – das macht den Einsatz für medizinische Zwecke wie die Adipositas-Therapie fraglich. Auf einige Dinge kann man in der Anwendung aber dennoch achten.
Neben den Standard-Parametern wie der Schrittzahl oder der Herzfrequenz – die heute mit jedem Smartphone erhoben werden können – behalten es sich spezielle Fitnesstracker und Smart-Watches vor, EKG- sowie Blutdruckmessungen, Schlafanalysen und sogar bioelektrische Impedanzanalysen durchzuführen. All diese Messdaten müssten jedoch mit Vorsicht betrachtet werden, warnte die Lübecker Endokrinologin Dr. Britta Wilms in ihrem Vortrag zur technischen Genauigkeit digitaler Gesundheitsanwendungen anlässlich der 15. Herbsttagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Was die Geräte leisten können und wo die Grenzen liegen verdeutlichte sie am Beispiel von Energieverbrauchsmessungen.
 
Die Entwicklung: eine Black-Box
Wer verstehen will, wo die Herausforderungen digitaler Gesundheitsanwendungen aktuell noch liegen, muss einen Blick auf deren Entwicklungsprozess werfen: Um ein System zur Messung eines bestimmten metabolischen Werts zu entwerfen (z. B. des Energieverbrauchs), muss dieser Zielparameter zunächst an einer ausgewählten Probandengruppe mittels des medizinischen Goldstandards erhoben werden (z. B. indirekte Kalorimetrie). Parallel zur Messung anhand der Goldstandard- Methode tragen die Probanden den Sensor, der später auch im Fitnesstracker verbaut ist (z. B. einen Beschleunigungssensor, der auf Spannungsänderungen reagiert und diese in Bewegungseinheiten umrechnet). Mithilfe der daraus entwickelten mathematischen Modelle können die Fitnesstracker aus den Sensor-Rohdaten schließlich direkt den Energieverbrauch berechnen (oder besser: sich ihm annähern).
Das Problem an der Sache: Diese mathematischen Modelle und Algorithmen kennt oft nur der Hersteller selbst, so Wilms. Auch Informationen zum Design der zugrundeliegenden Studien, also z. B. zu Probandenzahl und -charakteristika, bleiben zumeist unter Verschluss. Der Nutzen der Fitnesstracker für medizinische Zwecke etwa bei Adipositas ist damit fraglich – ist doch nicht einmal immer bekannt, ob in die Entwicklung des Algorithmus die Daten adipöser Probanden eingeflossen sind.
 
Die Genauigkeit: eine Überraschung
Tatsächlich schwankt die Genauigkeit des per Fitnesstracker berechneten Energieverbrauchs schon bei Nicht-adipösen Personen stark, wie eine Metaanalyse von 64 Studien zeigen konnte (O‘Driscoll R et al., Br J Sports Med 2020). Zwar näherten sich einige der untersuchten Fitnesstracker im Mittel gut an den per Goldstandard ermittelten Wert an, die Streuung war allerdings groß. „Das heißt, ein Fitnesstracker kann für eine Person relativ exakte Ergebnisse liefern – ob er für eine andere Person ebenso passt, wissen wir aber nicht“, erklärte Wilms. Um also den individuell passendsten Fitnesstracker zu finden, müsse im Prinzip für jeden Patienten und jede Patientin eine vergleichende Messung mit der Goldstandard-Methode durchgeführt werden.
Wilms zufolge könnte auch eine individuellere, auf bestimmte Patientengruppen zugeschnittene Formelentwicklung durch den Hersteller zu einer besseren Genauigkeit der Geräte beitragen. Dass das möglich ist, machte sie beispielhaft an einem tragbaren Sensor zur Aktivitätsmessung bei Menschen mit Querschnittslähmung deutlich (Popp WL et al., Front Neurol 2019). Zur Entwicklung des Algorithmus war der Energieverbrauch gelähmter Personen bei verschiedenen sportlichen und alltäglichen Aktivitäten (Badminton, Bodenwischen etc.) sowohl mittels indirekter Kalorimetrie als auch anhand eines Bewegungssensors aufgezeichnet worden. Durch multiple Regressionsanalysen und selbstlernende Algorithmen sei eine sehr gute Annäherung des Sensor-Outputs an den tatsächlichen Energieverbrauch möglich gewesen, berichtete Wilms. „Jedoch waren hier bereits hochkomplizierte Rechenmodelle involviert.“ Zu entsprechenden Entwicklungen im Bereich der Adipositas gebe es aktuell noch keine Literatur. „Hier müssen auch die Hersteller offen sein, neue Algorithmen zu entwickeln und unterschiedliche Modi in den Geräten zu integrieren.“
Menschen, die dennoch nicht auf eine smarte Lösung zur Aktivitätsmessung verzichten möchten, rät Wilms, sich an möglichst „einfachen, unverfälschten“ Parametern wie der Schrittzahl zu orientieren, die nicht auf die Berechnung des Kalorienverbrauchs hinauslaufen.
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