Wenn die GFR in den Keller rauscht

Praxis-Depesche 7-8/2022

Gefürchtete Komplikation eines Diabetes mellitus

Zertifizierte Fortbildung
Die diabetische Nephropathie ist eine häufige, bekannte und auch gefürchtete Komplikation eines Diabetes mellitus. Tritt sie beim Diabetiker auf, trifft sie dabei oft auf multimorbide, polypharmazierte Patient:innen, was das Management zur Herausforderung machen kann. Dialyse-Vermeidung ist das Ziel, weshalb man diese Herausforderung für seine Patient:innen annehmen sollte.
Die diabetische Nephropathie (DN) ist eine der häufigsten und schwersten Komplikationen des Diabetes mellitus (DM). Die Zahl der diabetischen Patient: innen, die eine Behandlung für eine Nierenerkrankung im Endstadium (ESRD) benötigen, ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Und mit steigender Prävalenz des Diabetes steigt auch das Vorkommen der DN. Dabei entwickelt sich die DN erst nach einer gewissen Latenzzeit nach der Diabetesdiagnose (bei einem Drittel der Patienten nach mehreren Jahren).
 
Screening und Diagnostik
Normalerweise entwickelt sich eine DN über Stadien hinweg: Am Anfang steht die Mikroalbuminurie (Albuminexkretion zwischen 30 und 300 mg/Tag). Die Makroalbuminurie geht wiederum mit einer ersten Verschlechterung der Nierenfunktion einher. Auf dieser Basis besteht das Screening auf der Bestimmung von Albumin im Urin. Empfehlungen geben an, dass man bei jedem Typ-2-Diabetiker (T2DM) bei Diagnosestellung und dann jährlich die Nierenfunktion bestimmen und den Patienten auf Albuminurie testen sollte. Bei Typ- 1-Diabetikern ist es ausreichend, ein Jahr nach Diagnosestellung damit zu beginnen. Wenn eine Albuminurie festgestellt wird, sollte diese drei bis sechs Monate lang wiederholt kontrolliert werden. Auch sollte man an mögliche Begleiterkrankungen wie Retinopathie und makrovaskuläre Erkrankungen denken.
Typischerweise wird die Diagnose DN auf Basis der folgenden Hauptkriterien gestellt: Rückgang der renalen Funktion, diabetische Retinopathie, Proteinurie und GFR-Abnahme. In der Praxis ist es aber meist die persistierende Albuminurie ohne andere renale Ursache bei koexistierender Retinopathie, die zur Diagnose ausreicht. Im Wesentlichen stellt die DN ein klinisches Syndrom bei Diabetes dar, das bei zwei von drei Untersuchungen eine Albuminurie > 300 mg/ Tag oder > 200 μg/min und eine GFR-Abnahme und einen Hypertonus umfasst.
Bei Typ-1-Diabetikern tritt die DN selten innerhab der ersten zehn Jahre nach Diagnose auf. Zwischen dem 10. und 20. Jahr allerdings beträgt die jährliche Inzidenz 3 %. Nach 20 Jahren nimmt die Inzidenz wieder ab, weshalb Typ-1-Diabetes-Patient: innen, die nach 30 Jahren noch eine normale Nierenfunktion aufweisen, kein erhöhtes DN-Risiko mehr haben.
Meist kommt es im Verlauf der DN zur Proteiunurie gefolgt von einer Abnahme der Nierenfunktion. Es gibt aber auch Patienten mit DN ohne Proteinurie (nonproteinuric DN, NP-DN). Die Abnahme der Nierenfunktion verläuft also nicht immer parallel zur Albuminurie. Dieses Konzept wird von zwei neuen Phänotypen untermauert: nicht-albuminurische/ proteinurische DN und progressive renale Insuffizienz. Die Albuminurie und die Verschlechterung der eGFR können gemeinsam oder auch unabhängig voneinander auftreten. Die Prävalenz der NP-DN beträgt beim Typ-2-Diabetiker 45 bis 70 % und beim Typ 1 50 bis 60 %. Wesentliche Risikofaktoren für eine DN stellen Hyperglykämie, Hypertonie, Adipositas, Rauchen, Ethnie, männliches Geschlecht, Dyslipidämie, Alter und genetische Faktoren dar. Kaukasier sind generell seltener betroffen als z. B. Asiaten und Afroamerikaner.
 
Management der DN
Erstmal sollten die Blutglukose und der Blutdruck bestmöglich eingestellt werden. Das Ziel ist, ein Fortschreiten der DN zu verhindern und die Albumninurie zurückzudrängen. Wird die Albuminurie besser, bessert sich auch das renale und kardiovaskuläre Risiko. Auch an die modifizierbaren Risikofaktoren sollte man sich heranwagen: Gewichtsverlust, alimentäre Proteinrestriktion, Lipidsenkung und Rauchstopp. Mit jedem Prozent HbA1c-Anstieg erhöht sich das Risiko für mikrovaskuläre Komplikationen um 40 %. Das HbA1c-Ziel sollte 7,0 % sein.
Zur BZ-Einstellung sollte Insulin zum Einsatz kommen. Aber auch einige orale Antidiabetika können an die GFR angepasst eingesetzt werden. So sind einige Sulfonylharnstoff-Gruppen bei DN nicht kontraindiziert, da sie über die Leber verstoffwechselt und als inaktive Metabolite renal ausgeschieden werden (Glipizide, Gliclazide). Inkretin-basierte Medikamente können auch gegeben werden (DPP-4-Inhibitoren, GLP-1-Agonisten), bei einigen sollte man die Dosierung an die GFR anpassen. SGLT2-Inhibitoren werden generell nicht empfohlen, wenn die GFR unter 45 ml/min liegt. Insulinsensitizer, Biguanide und Thiazolidinedione sowie Alfa-Glycosidaseinhibitoren erhöhen das Hypoglykämie-Risiko. Metformin wird nicht in der Leber metabolisiert und unverändert renal ausgeschieden – deshalb akkumuliert es bei Niereninsuffizienz und sollte hier nicht gegeben werden. Pioglitazone sind hingegen unkritisch, sie werden von der Leber verstoffwechselt. Acarbose sollte hingegen bei Patienten mit sehr niedriger GFR nicht angewendet werden.
Natürlich muss auch der Blutdruck bei einer DN bestmöglich eingestellt werden: < 140/90 mmHg gelten als Zielwert, < 130/80 sollten bei Diabetes und Albuminurie angestrebt werden. RAAS-Inhibitoren sind die zu bevorzugenden Antihypertensiva (ARB oder ACEi), denn es konnte gezeigt werden, dass diese Substanzen die Progression der DN zur ESRD verlangsamen können. Kombiniert werden sollten ARB mit ACEi allerdings nicht.
Einige neue therapeutische Ansätze gibt es auch: Aldosteronblocker haben renoprotektive Eigenschaften; eine Vitamin- D-Supplementation kann sinnvoll sein; der selektive CCR2-Inhibitor CCX140-B senkte die Albuminurie in einer ersten Studie um 18 %. CB/Dr. med. Markus Kemper


Hinweis: Dieser Artikel ist Teil einer CME-Fortbildung.

Quelle: Samsu N.: Diabetic nephropathy: Challenges in pathogenesis, diagnosis, and treatment. Biomed Res Int 2021; 1497449

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