Praxis-Depesche 18/2003

Gicht - korrekte Diagnose für eine optimale Therapie

Patienten, bei denen man eine Gicht diagnostiziert hat, werden nur in den wenigsten Fällen an den Rheumatologen überwiesen. Der Großteil wird vom Hausarzt behandelt. Das macht die korrekte Diagnose und Therapie bisweilen problematisch.

Klassischerweise ist Gicht eine akute entzündliche Monoarthritis bei Männern mittleren Alters, wobei meist das Großzehengrundgelenk befallen wird. Bisweilen sind aber auch andere Gelenke betroffen, etwa das Knie. Bei älteren Menschen bietet sich manchmal das Bild einer Polyarthritis, die dann leicht mit rheumatoider Arthritis oder Arthrose verwechselt werden kann. Harnsäure entsteht beim Abbau von Purinbausteinen. Anders als die meisten Säugetiere kann der Mensch das Enzym Urikase nicht exprimieren, das wiederum die Harnsäure abbauen würde. Die Harnsäurespiegel im Blut werden oft als Grundlage für die Gichtdiagnose verwendet; das kann zu Fehleinschätzungen führen. Es gibt viele Menschen mit Hyperurikämie, die nicht an Gicht leiden. Umgekehrt kann bei Gichtpatienten der Harnsäurespiegel normal oder gar niedrig sein. Eine asymptomatische Hyperurikämie tritt viel häufiger auf als Gicht und kann mit einer Reihe anderer Krankheiten einher gehen. Ob sie dabei eine ursächliche oder nur begleitende Rolle spielt, ist nicht geklärt. Das Risiko für Gicht steigt allerdings mit zunehmenden Harnsäurespiegeln. Bei Werten über 10 mg/dl beträgt die Fünfjahres-Rate 30%; bei Werten unter 7 mg/dl liegt sie dagegen bei nur 0,6%. Für Patienten jeden Alters sind einige Risikofaktoren für die Entstehung von Hyperurikämie und Gicht bekannt. Die Genetik spielt eine Rolle, wie familiäre Häufungen der Gicht zeigen. Die Harnsäurespiegel im Blut werden von mehreren Genen kontrolliert, mit Ausnahme seltener Fälle von Enzym-Anomalien, die meist bei jungen Männern zu finden sind. Die Harnsäure wird vorwiegend über die Nieren ausgeschieden; eine eingeschränkte Nierenfunktion wird daher die Ausscheidung behindern, ebenso bestimmte Medikamente wie Thiazide, Schleifendiuretika, niedrig dosierte Salizylate (in hohen Dosen wirken sie urikosurisch), Ciclosporin oder Niacin. Auch Alkoholkonsum kann die Harnsäurespiegel anheben und Gichtanfälle auslösen. Ebenso sind Adipositas und exzessive Diäten oft für eine vermehrte Harnsäureproduktion verantwortlich. Die Häufigkeit von Gicht wird mit sechs Fällen pro 1000 Männer und einem Fall pro 1000 Frauen angegeben. Die klassische Gicht ist eine akute Monarthritis, die plötzlich einsetzt und Personen jedes Alters befallen kann, vor allem Männer. Das betroffene Gelenk ist heiß, gerötet, geschwollen und sehr schmerzempfindlich. Voraus gehen können vermehrter Alkoholkonsum, eine strenge Diät oder die Einnahme von Diuretika, aber auch stationäre Aufenthalte oder chirurgische Eingriffe. Vor allem in letzteren Fällen wird die Gicht nicht selten als Zellgewebsentzündung oder septische Arthritis fehlgedeutet. Mit den Jahren häufen sich die akuten Anfälle. Es entstehen Ablagerungen von Harnsäurekristallen in der Haut oder im Subkutangewebe, die typischen Gichttophi. Bei älteren Menschen findet man oft eine ganz andere Form der Gicht, die sich viel unauffälliger präsentiert. Diese atypische Gicht befällt meist mehrere Gelenke. Besonders bei älteren Frauen sind nicht selten viele kleine Gelenke der Hände und Finger betroffen, wie Frauen überhaupt bei der atypischen Gicht viel stärker vertreten sind als bei der typischen Form. Tophi sind hier oft schon zum Zeitpunkt der Diagnose vorhanden (meist über den Heberden-Knoten). Früher hat man die Gicht anhand der Trias entzündliche Monarthritis, erhöhter Harnsäurespiegel und Ansprechen auf Colchicin diagnostiziert. Heute weiß man, dass dieses Vorgehen nur bedingt tauglich ist: Ältere haben oft eine chronische polyarthritische Form; die Harnsäurespiegel können normal ausfallen, und auch die Pseudogicht, eine Ablagerung von Kalzium-Pyrophosphat-Kristallen, spricht auf Colchicin an. Entscheidend für die Diagnose ist der Nachweis von Mononatriumurat in der Synovialflüssigkeit oder in den Tophi. Da die Leukozyten in der Gelenkflüssigkeit oft stark erhöht sind, muss man eine septische Arthritis (die allerdings auch bei einer Gicht vorkommen kann) unbedingt ausschließen. Zur Abgrenzung einer Pseudogicht genügt meist die Standard-Mikroskopie. Gegebenenfalls hilft die Röntgenaufnahme weiter, die bei Vorliegen einer Chondrokalzinose für Pseudogicht spricht. Für Patienten mit wenigen Gichtanfällen reicht die symptomatische Therapie der Attacke aus. Bei der Auswahl der Substanz sollte man bedenken, dass der Gichtanfall selbstlimitierend ist. Manchmal heben die Risiken bestimmter Therapien deren Nutzen wieder auf, besonders bei älteren Menschen. Gerade hier sollte man die Vorteile von Zusatzmaßnahmen wie Ruhigstellen und Eispackungen nicht außer Acht lassen, da sie die Schmerzen deutlich lindern können. Patienten mit häufigeren Anfällen, chronischer Gicht und Tophi-Bildung erhalten eine den Harnsäure-Spiegel senkende Medikation mit Probenecid oder Benzbromaron, sofern sie keine Nephropathie aufweisen. Eine entsprechende purinarme Diät ist in allen Fällen ratsam; ihr Effekt sollte allerdings nicht überschätzt werden. Besonders hilfreich ist das Weglassen von Alkohol, besonders von Rotwein. Im akuten Anfall werden NSAR verabreicht. Bei älteren Patienten ist unter dieser Medikation auf die Nierenfunktion zu achten. Sind NSAR kontraindiziert, kann man auf die kurzzeitige Gabe von Kortikosteroiden ausweichen. Colchicin ist das älteste Gichtmittel. Es wird heute nur noch in wenigen Fällen eingesetzt; keinesfalls ist es für den Langzeitgebrauch geeignet. Bei Vorliegen einer Urat-Nephropathie ist Allopurinol (oder ein anderer Xanthinoxidase-Hemmer) das Mittel der Wahl. Noch nicht auf dem Markt sind Urikase-Präparate. Auf diesem Gebiet wird eifrig geforscht. (EH)

Quelle: Rott, KT: Gout, Zeitschrift: JAMA : THE JOURNAL OF THE AMERICAN MEDICAL ASSOCIATION, Ausgabe 289 (2003), Seiten: 2857-2860

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