88. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie 2022

Praxis-Depesche 6/2022

Individualisierte Troponinwerte, neue Ablationsverfahren und vereinfachte Kardioprävention

Nach zwei Jahren fand der diesjährige Kongress der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie nun erstmals wieder live in Mannheim statt. Auf dem Programm standen klassische Themen zur kardiovaskulären Prävention und zahlreiche Innovationen, u. a. in der interventionellen Kardiologie. Aber auch auf einige etablierte Verfahren zur Diagnostik und Therapie wurde ein neues Licht geworfen.
Diskutiert wurden im Rahmen des Kongresses unter anderem neue Referenzwerte für das hochsensitive kardiale Troponin (hs-cTnT), einem Schlüsselaspekt in der Diagnostik von Nicht- ST-Hebungsinfarkten (NSTEMI). Die bisherigen oberen Referenzwerte sind nicht auf alle Patient:innen gleichermaßen übertragbar, wie Dr. Luise Gaede, Erlangen, herausstellte, sondern können lediglich für Männer bis zum 60. Lebensjahr und Frauen im Alter zwischen 60 und 70 Jahren als valide angesehen werden. Bei älteren Patient:innen muss von höheren Grenzwerten ausgegangen werden. Zudem haben Männer generell höhere hs-cTnT-Werte als Frauen. Besser wäre es also, alters- und geschlechtsabhängige Referenzwerte festzulegen.
 
Gewebeschonende Neurokardioablation
In einer Live-Zuschaltung aus New York fasste Prof. Vivek Reddy aktuelle Studiendaten zur Katheterablation zur Erstlinientherapie des paroxysmalen Vorhofflimmerns (VHF) zusammen. Gegenüber einer medikamentösen Therapie reduzierte die Katheterablation das Risiko einer Rezidivierung der atrialen Arrhythmie um knapp 40 % und die Hospitalisierungsrate sogar um 70 %. Mit einem ablativem Verfahren behandelte VHF-Patient:innen trugen zudem ein rund zehnmal geringeres Risiko, innerhalb der nächsten drei Jahre ein persistentes VHF zu entwickeln. Ferner stellte Vivek die Pulsfeldablation als neues Ablationsverfahren vor. Anders als Radiofrequenz- oder Kryoverfahren, bei denen die thermische Ablation auch umliegende Gewebe wie der Nervus phrenicus oder das ösophageale Gewebe in Mitleidenschaft gezogen werden kann, basiert die Pulsfeldablation auf Elektroporation. Dabei werden im anvisierten Gewebe Zellmembrandefekte erzeugt, die dort zur Permeabilisierung und zum Zelltod führen, ohne umliegende Strukturen zu kompromittieren.
 
Augen auf bei der Kardioprävention!
Eine neue Methode zur kardiovaskulären Risikoeinschätzung bei Patient:innen mit koronarer Herzkrankheit (KHK) stellte Prof. Katrin Schröder, Frankfurt am Main, vor. Mit Blick auf die Netzhaut wird der untersuchten Person ein Flackerlicht vor das Auge gehalten. Darauf reagieren die retinalen Gefäße mit einer Dilatation. Während bei gesunden Personen sowohl die Arterien als auch Venen dilatieren, reagieren bei Patient:innen mit fortgeschrittener koronarer Atherosklerose die retinalen Arterien kaum oder gar nicht auf den Lichtreiz. Beträgt die arterielle Dilatation weniger als 1,4 % des ursprünglichen Gefäßdurchmessers, steigt das Risiko für das Eintreten schwerer kardiovaskulärer Ereignisse signifikant an (kumulative ereignisfreie Überlebensrate über zehn Jahre 0,56 vs. 0,72 bei höherer arterieller Dilatation; p = 0,004).
Schröder ging zudem auf neue Ernährungsempfehlungen zur Atheroskleroseprävention ein, wobei sie den Fokus nicht auf Gemüse- oder Fleischkonsum, sondern auf beliebte Genussmittel legte. Aus Metaanalysen mit neueren Studien geht hervor, dass der tägliche Konsum von etwa drei Tassen Kaffee das Risiko, an KHK zu erkranken, um 10 % reduziert, und das Risiko, an KHK zu versterben, um 16 %. Mehr als fünf Tassen Kaffee am Tag werden aber nicht empfohlen. Vier Metaanalysen haben außerdem einen geringen protektiven Effekt auf die KHK-Inzidenz (etwa 5 %) von Schokolade nachgewiesen, allerdings nur bis zu einer verzehrten Maximalmenge von 20 g pro Tag. Die Ergebnisse sind jedoch, ebenso wie Kaffee und Schokolade, mit Vorsicht zu genießen.
 
Neuer Ansatzpunkt GLP-2
Mit dem Young Investigator Award der DGK wurde in diesem Jahr eine Arbeit zum Glucagon-like peptide 2 (GLP-2) ausgezeichnet. Die Arbeitsgruppe um Dr. Florian Kahle, Aachen, fand heraus, dass akute Entzündungen mit einer erhöhten GLP-2-Sekretion verbunden sind und eine Behandlung mit GLP-2 im Mausmodell das Überleben verlängerte, indem es den Zytokinsturm verringerte und sich günstig auf die linksventrikuläre Funktion auswirkte. Das GLP-2, das von dem Pankreas in Reaktion auf erhöhtes Interleukin-6 ausgeschüttet wird, wirkt regulierend auf das Entzündungsgeschehen und die kardiale Funktion und könnte künftig völlig neue Therapieansätze ermöglichen.

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