73. Kongress der DGU Deutsche Gesellschaft für Urologie 15.–18. September 2021

Praxis-Depesche 11/2021

Kann man Fruchtbarkeit auf Rezept bekommen?

Die neue Richtlinie zur Kryokonservierung von Ei- und Samenzellen soll jungen Erwachsenen mit Krebs zumindest die finanzielle Sorge um den Fertilitätserhalt nehmen. Über die Voraussetzungen für die Kostenübernahme durch Krankenkassen sowie potenzielle Schwachstellen der Richtlinie diskutierten Experten auf dem diesjährigen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie.
Tipp
Die Bescheinigung zur Vorlage beim Reproduktionsmediziner oder Andrologen gibt es zum Download auf den Homepages verschiedener Fachgesellschaften (z. B. BRZ oder DGA).
Kryokonservierung von Ei- und Samenzellen jetzt Kassenleistung Anfang Juli dieses Jahres ist die Umsetzung der Richtlinie Kryokonservierung in Kraft getreten. Damit können von nun an Leistungen, die in Zusammenhang mit der Kryokonservierung von Ei- und Samenzellen oder Keimzellgewebe stehen, zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden. Die zur Kryokonservierung gehörigen medizinischen Maßnahmen umfassen die Vorbereitung, die Entnahme und Aufbereitung, den Transport, das Einfrieren und die Lagerung sowie das spätere Auftauen. Auch Personen, die bereits kryokonserviert haben oder mit entsprechenden Maßnahmen begonnen haben, können mit Inkrafttreten der Richtlinie ihren Anspruch auf Kostenübernahme geltend machen.
Zu den Indikationen, bei denen ein Anspruch besteht, zählen die operative Entfernung der Keimdrüsen, eine Strahlentherapie mit zu erwartender Schädigung der Keimdrüsen sowie eine potenziell fertilitätsschädigende Medikation. Die Feststellung, ob diese medizinischen Voraussetzungen gegeben sind, trifft der behandelnde bzw. diagnostizierende Facharzt. Dieser stellt eine ärztliche Bescheinigung aus, welche dann die weiteren Maßnahmen und die Beratung durch spezialisierte medizinische Berufsgruppen ermöglicht. Zur Beratung berechtigt sind Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe sowie für Andrologie und Reproduktionsmedizin.
Wichtig ist, dass die Anforderungen des Transplantationsgesetzes zur Patienteneinwilligung beachtet werden: Nicht einwilligungsfähig sind demnach Kinder unter 14 Jahren; bei Jugendlichen zwischen 14 und 17 ist es immer eine Einzelfallentscheidung. Keinen Anspruch haben zudem Männer über 50 Jahre sowie Frauen über 40 Jahre.
Nach Meinung des Urologen und Sexualmediziners Dr. Armin Soave vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf sei die neue Richtlinie zur Kryokonservierung ein Meilenstein für die Reproduktionsmedizin. Es bestehe allerdings noch Verbesserungspotenzial. So gebe es weiterhin Patientengruppen, für die die neue Richtlinie zur Kryokonservierung nicht ausreichend sorge. Dazu zählen Kinder, Transgender-Personen, Patienten mit chromosomalen Erkrankungen wie dem Klinefelter-Syndrom sowie Menschen mit Differences in Sexual Development and Maturation (DSD). Weitere Mankos der Richtlinie sind Soave zufolge, dass die andrologische Nachsorge nicht mit inbegriffen und die Dauer der Probenlagerung bislang nur ungenügend geregelt ist.
 
Testosteron und COVID-19
Eine vor wenigen Monaten im Fachmagazin JAMA Network Open publizierte Studie hat eindrücklich gezeigt, dass ein niedriger Testosteronspiegel zu Beginn und während einer SARS-CoV-2-Infektion bei Männern ein prognostisch ungünstiger Marker ist: Die Hormonmessungen bei 152 infizierten Männern ergaben, dass diejenigen, die mit COVID-19 verstarben, bereits zum Zeitpunkt der Krankenhausaufnahme extrem niedrige Testosteronspiegel gehabt hatten. Höher waren die Werte bei den Patienten, die zwar nach der Hospitalisierung auf der Intensivstation behandelt wurden, aber nicht verstarben. Die höchsten Testosteronlevel hatten die Männer, bei denen keine intensivmedizinische Betreuung nötig war. Abhängig von der Schwere der Erkrankung nahmen die Testosteronwerte bei allen Patienten im Krankheitsverlauf weiter ab.
Nach der akuten Erkrankungsphase kommt es innerhalb kurzer Zeit zu einer Normalisierung des Testosteronspiegels. Gleichzeitig steigt allerdings das Level des follikelstimulierenden Hormons (FSH), wie italienische Forscher vor Kurzem im Fachjournal Andrology berichteten (das galt übrigens auch für Frauen, hier waren die hormonellen Veränderungen aber nicht statistisch signifikant). Laut dem Andrologen Dr. Thorsten Diemer vom Universitätsklinikum Gießen deutet der erhöhte FSH-Spiegel darauf hin, dass es durch die Infektion zu einer gewissen Schädigung des Hodengewebes kommt.
Die Ursachen des Testosteronabfalls infolge akuter Entzündungsreaktionen seien inzwischen gut erforscht, wie Diemer in seinem Vortrag zum Einfluss des Testosterons auf die COVID-19-Prognose erklärte: „Proinflammatorische Zytokine wirken unter anderem in Leydig-Zellen im Interstitium des Hodens, wo sie die Testosteronproduktion blockieren.“ Zum Eintritt in die Zelle nutzt das SARS-CoV- 2-Virus die Rezeptoren ACE2 und TMPRSS2 – deren Expression streng androgenreguliert ist. Klinische Studien zu endokrinen Interventionen bei COVID-19 setzen daher vor allem auf eine Androgenblockade durch GnRH-Analoga im frühen Stadium der Erkrankung statt auf eine Androgensubstitution. „Ziel ist es, die Internalisierung des Virus und damit die Progression der Erkrankung zu verhindern“, so Diemer. Da diese Studien jedoch erst im Sommer 2021 angelaufen sind, bleiben die Ergebnisse abzuwarten.
 
Fertilität als Spiegel der Männergesundheit
In den westlichen Industrienationen ist die Samenqualität in den vergangenen Jahrzehnten stetig gesunken: Die Spermienkonzentration nahm zwischen 1970 und 2010 um 52,4 % ab, die Spermiengesamtzahl verringerte sich um fast 60 %. „Ein zentraler Prädiktor für die Fertilität des Mannes ist dessen allgemeiner Gesundheitsstatus“, erklärte die Urologin Dr. Pia Paffenholz von der Uniklinik Köln. Die Optimierung von Lebensstilfaktoren und Behandlung von Komorbiditäten seien in der Therapie der Infertilität daher essenziell.
Als ersten wichtigen Lebensstilfaktor nannte Paffenholz das Körpergewicht. Eine Metaanalyse von 25 internationalen Studien, die bis 2015 publiziert worden waren, hatte ergeben, dass pro Anstieg des BMI um fünf Punkte die Spermiengesamtzahl um 2,4 % sank. In einer unizentrischen Studie aus China war ein erhöhter BMI mit einer eingeschränkten Spermienmotilität assoziiert. Auch für den Nikotinabusus ist ein Zusammenhang mit einer reduzierten Spermiengesamtzahl und -motilität gut belegt: So kommt es bei Frauen, deren männlicher Partner raucht, nur etwa halb so oft zu einer klinischen Schwangerschaft im Rahmen der assistierten Reproduktion als bei solchen mit nicht rauchenden Partnern.
„Weniger klar ist hingegen die Datenlage zum Alkoholabusus“, berichtete Paffenholz. Während bei Frauen die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaftsinduktion mit zunehmendem Alkoholkonsum abnimmt, scheint diese Dosis-Wirkungs-Beziehung bei Männern nicht zu bestehen – das ging zumindest aus einer 1998 publizierten Studie an 430 dänischen Paaren hervor. Zu einem anderen Ergebnis kam eine Metaanalyse von 2017, in der sich bei Männern mit täglichem Alkoholkonsum ein reduziertes Spermienvolumen und eine häufigere abnormale Spermienmorphologie zeigten. Zuletzt scheint sich auch das Stresslevel im Spermiogramm niederzuschlagen. In einer dänischen Studie war die Spermienkonzentration bei Probanden mit hohem Stresslevel um 38 % reduziert und die Spermiengesamtzahl um 34 %.
Doch nicht nur der Lebensstil, auch bestimmte Komorbiditäten haben nachweislich Einfluss auf die männliche Fertilität. Eine Arbeitsgruppe der Klinik San Raffaele in Mailand konnte in einer prospektiven Untersuchung zeigen, dass Unfruchtbarkeit ein unabhängiger Prädiktor für die Zahl der Komorbiditäten ist. Weitere Studien bestätigten, dass Spermienabnormalitäten bei Patienten mit Diabetes mellitus, Hypertonie, nicht ischämischer Herzkrankheit, peripherer arterieller Verschlusskrankheit oder zerebrovaskulärer Erkrankung überdurchschnittlich häufig sind.
Die gute Nachricht: Das Spermiogramm lässt sich offenbar optimieren, indem die Begleiterkrankungen behandelt werden. „Aus diesem Grund müssen die Krankheitsprävention und Lebensstiländerung bei der Therapie der Infertilität in den Vordergrund rücken, wobei es eines interdisziplinären Managements bedarf“, appellierte Paffenholz abschließend. RG

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