Das menschliche Skelett im Körper

Kinder mit Wachstumsstörungen

Praxis-Depesche 6/2022

Kleine ganz groß rausbringen

Die Skelettreifung kann durch Verringerung der Exposition gegenüber Östrogenen verringert werden – entweder durch Stoppen der Pubertätsentwicklung durch Verabreichung eines GnRH-Analogons (GnRHa) oder durch Blockieren der Umwandlung von Androgenen in Östrogene durch einen Aromatasehemmer (AI). Diese Wirkstoffe wurden nun bei Kindern mit Wachstumsstörungen (off-label) entweder allein oder in Kombination mit rekombinantem humanem Wachstumshormon (rhGH) untersucht.
Durch eine Behandlung mit GnRHa können Kinder mit zentraler vorzeitiger Pubertät eine normale Größe im Erwachsenenalter (AH) erreichen. Die Wirkung von GnRHa bei kleinen Kindern mit einer zum normalen Zeitpunkt einsetzender Pubertät ist jedoch nicht eindeutig geklärt, könnte sich aber lohnen.
Wenn mit rhGH behandelte Kinder mit einem Mangel an Wachstumshormon oder Kinder, die für das Gestationsalter zu klein auf die Welt kamen, zu Beginn der Pubertät immer noch zu klein sind, erhöht die gleichzeitige GnRHa-Gabe für zwei bis drei Jahre die Körpergröße im Erwachsenenalter. Eine ähnliche Wirkung wurde beobachtet bei Kindern mit zentraler vorzeitiger Pubertät und einer schlechten AH-Prognose sowie bei Kindern mit angeborener Nebennierenhyperplasie und schlechter Prognose der Körpergröße im Erwachsenenalter, die konventionell Gluko- und Mineralokortikoide erhalten. Bei Mädchen mit idiopathischer Kleinwüchsigkeit und relativ früher Pubertät erhöht die Kombination rhGH plus GnRHa die Körpergröße im Erwachsenenalter.
 
rhGH, GnRHa und Aromatasehemmer
Randomisierte, kontrollierte Studien zu diesem Themenbereich sind allerdings rar gesät. Außerdem können GnRHa, außer bei zentraler vorzeitiger Pubertät, nur off-label eingesetzt werden. Dennoch folgert der Studienautor aus der vorhandenen Datenlage, dass durch die Wachstumsstimulation mittels rhGH in Kombination mit einer niedrigen Östrogenexposition durch GnRHa dem Wachstum mehr Zeit gegeben werden kann. Profitieren könnten davon insbesondere Kinder mit zentraler vorzeitiger Pubertät mit geringer Wachstumsgeschwindigkeit und negativer Prognose der Körpergröße im Erwachsenenalter (predicted adult height, PAH) sowie Kinder mit angeborener Nebennierenhyperplasie und niedriger PAH.
Durch die Behandlung wird die Reifung der epiphysären Wachstumsfuge gehemmt, die AH wird vergrößert. GnRHa werden in der Regel gut vertragen. Eine leichte Abnahme der Knochendichte (BMD) scheint nach Absetzen der Behandlung kompensiert zu werden.
 
Datenlage zu Aromatasehemmern unklar
AI haben einen hohen therapeutischen Stellenwert bei einigen sehr seltenen Erkrankungen. Jedoch ist ihr Einfluss als Monotherapie oder als Kombination mit rhGH auf Wachstumsstörungen noch ungewiss. Der Aromataseinhibitor Letrozol erhöht bei Jungen mit konstitutioneller Wachstumsverzögerung die AH. Bei Jungen mit einem Wachstumshormon-Mangel oder idiopathischer Kleinwüchsigkeit wird dies durch die Kombination rhGH plus den AI Anastrozol erreicht. Allerdings erlauben die spärlichen aussagekräftigen Daten keine sichere Schlussfolgerungen. Für Aromatasehemmer liegen bezüglich ihrer Sicherheit widersprüchliche Daten vor.
Die Therapie mit AI führt zu einem erhöhten Testosteron- Plasmaspiegel. Dies gilt als psychologischer Vorteil für heranwachsende Männer, aber als potenzieller Nachteil für Frauen. Daher ist der Einsatz von AI im Jugendalter praktisch auf Jungen beschränkt. Die vorläufigen Daten zur Anwendung von Anastrozol bei kleinen Mädchen stellen diese Hypothese zwar in Frage, aber diese Beobachtung bedarf einer Bestätigung. GS
Quelle: Witt JM: Should skeletal maturation be manipulated for extra height gain? Front Endocrinol 2021; 12: 1812196
ICD-Codes: R62.8
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