Videos zu Infektionen

Praxis-Depesche 9/2022

Krankheits-Ekel triggert Immunreaktion

Auf virale Eindringlinge reagiert der Körper mit einer entsprechenden Immunantwort. Wie Biologen der Universität Hamburg herausgefunden haben, lässt aber schon das Anschauen ekel erregender krankheitsbezogener Videos den Körper nicht kalt.
Gesunde Abscheu
Schimmel, Kadaver und Kaker- laken – bei den meisten Menschen lösen solche Anblicke starkes Un- behagen aus. Der Körper reagiert darauf mit einer messbaren Immunreaktion. Noch stärker als bei den Ekel-Klassikern ist die Immunreaktion aber im Angesicht ansteckender Krankheiten.
Die Forschenden ließen 47 Männer und 69 Frauen verschiedene Ekel-auslösende Videos schauen. Zwei davon zeigten Situationen im Kontext ansteckender Atemwegsinfektionen, das dritte zeigte Ekel-Klassiker wie verdorbene Lebensmittel, verwesende Tierkadaver oder Kakerlaken. Ein viertes Video diente als Kontrolle und beinhaltete harmlose Landschaftseindrücke.
 
Ansteckungsgefahr sorgt für Ekel
„Es zeigte sich, dass die sIgA (sekretorisches Immunglobulin A)-Konzentration im Speichel der Proband:innen nach der Stimulation – vor allem bei Videos, die Menschen mit Krankheitssymptomen zeigen – anstieg“, erklärt Judith Keller, Erstautorin der Studie. Im Schnitt erhöhte sich die sIgA-Konzentration nach dem Schauen der Krankheitsvideos um 83,15 % gegenüber nur 44,79 % nach dem Schauen von Videos, die verdorbene Lebensmittel zeigten. Das physiologische Immunsystem ist demnach nicht rein reaktiv, sondern reagiert bereits bevor ein Pathogen in den Körper gelangt.
 
Da die Aktivierung des physiologischen Immunsystems, bestehend aus den angeborenen und erworbenen Abwehrmechanismen, den Körper viel Energie kostet, wird es vom Verhaltensimmunsystem unterstützt. Das Verhaltensimmunsystem sorgt dafür, dass Situationen von erhöhter Infektionsgefahr von vornherein gemieden werden und das physiologische Immunsystem somit gar nicht erst aktiviert werden muss. So sorgt das Verhaltensimmunsystem zum Beispiel für eine erhöhte Sensibilität auf verdächtige Gerüche oder sichtbare Krankheitsanzeichen, die Gefühle wie Abneigung oder Ekel heraufbeschwören, was beim Menschen das Vermeidungsverhalten induziert.
Allerdings sei die Studie noch kein direkter Beweis für eine erhöhte Immunität, wie Juniorprofessorin Dr. Esther Diekhof, Leiterin der Arbeitsgruppe Neuroendokrinologie am Fachbereich Biologie der Universität Hamburg, betonte. „Ein solcher proaktiver Abwehrmechanismus scheint jedoch wahrscheinlich, da sIgA im Speichel eine wichtige Rolle beim Immunausschluss spielt.“ Ob der beobachtete sIgA- Anstieg tatsächlich eine Immunantwort auslöst und somit eine erhöhte Immunität von zum Beispiel Atemwegsviren widerspiegelt, gilt es also noch zu klären. OB
Quelle:

Pressemitteilung: Universität Hamburg, 16.7.22 idw-online.de/de/news799018

Keller JK: Disease-related disgust promotes antibody release in human saliva. Brain Behav Immun Health 2022; 24: 100489

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