Praxis-Depesche 11/2003

Management des akuten Infarkts

Die Möglichkeiten, Patienten mit akutem Herzinfarkt zu behandeln, haben sich in den letzten Jahrzehnten drastisch gebessert. Niederländische Kardiologen fassen zusammen.

Gemäß den Kriterien der WHO ist von einem Myokardinfarkt auszugehen, wenn mindestens zwei der folgenden Kriterien erfüllt sind: 1. typische ischämische Brustschmerzen, 2. erhöhte Konzentration der Kreatinkinase-MB (CK-MB) im Serum, 3. typische EKG-Befunde einschließlich Entwicklung pathologischer Q-Zacken. Die CK-MB ist kein sensitiver Marker für das Vorliegen einer Myokardnekrose. Um die Diagnosesicherheit zu verbessern, wurden sensitivere Testverfahren entwickelt, die auch einen minimalen Myokardschaden anzeigen. Hierzu zählen vor allem Troponin T und I. Die European Society of Cardiology und das American College of Cardiology haben diese Tests in ihre neuen Diagnosekriterien aufgenommen. Demnach ist von einem Myokardinfarkt auszugehen, wenn 1. ein typischer Anstieg und allmählicher Abfall von Troponin oder ein schnellerer Anstieg und Abfall von CK-MB vorliegt und mindestens einer der folgenden Parameter erfüllt ist: a. Ischämie-Symptome, b. Q-Zacken im EKG c. ischämische EKG-Veränderungen (ST-Hebung oder ST-Senkung) d. Koronar-Intervention (z. B. PTCA) 2. Pathologie-Befunde eines akuten Myokardinfarktes vorliegen Die Therapie zielt darauf ab, das verschlossene Koronargefäß schnell wieder zu eröffnen. Dazu stehen mittlerweile verschiedene Verfahren zur Verfügung. Medikamentöse Lyse: Die GISSI-1- und die ISIS-2-Studie zeigten, dass die 30-Tage-Mortalität von Infarktpatienten im Vergleich zu Plazebo um 26% reduziert werden kann, wenn sie mit Streptokinase behandelt werden. Nach wie vor ist Streptokinase das am häufigsten zur Thrombolyse eingesetzte Medikament. Allerdings gilt seit den Ergebnissen der GUSTO-1-Studie die Thrombolyse mit Front-loaded-Alteplase (100 mg Infusion über 90 Minuten, die Hälfte der Dosis innerhalb von 30 Minuten) als Goldstandard, da die Mortalität damit noch weiter reduziert werden kann. In den 90er Jahren wurden verschiedene Weiterentwicklungen der Alteplase mit größerer thrombolytischer Potenz vorgestellt. Große Phase-3-Mortalitätsstudien zeigten jedoch keine Überlegenheit. Thrombozytenhemmende Therapie: Die thrombolytische Therapie birgt mehrere Risiken. Zum einen kann der okkludierende Thrombus in kleinere Partikel zerfallen und zu einer distalen Mikroembolisation führen. Zum anderen wird bei der Thrombolyse nur der fibrinreiche, rote Teil des Thrombus aufgelöst (daher die treffendere Bezeichung "fibrinolytische Therapie"), während der plättchenreiche weiße Thrombusteil nicht aufgelöst wird. Und schließlich bewirkt die Fibrinolyse eine Zunahme der Konzentration von freiem Thrombin und eine Aktivierung der Thrombozytenaggregation, was die Mikrozirkulation weiter verschlechtern kann. Um diese Nachteile zu überwinden, wurden Reperfusions-Strategien entwickelt, die eine Fibrinolyse und eine aggressive Thrombozytenaggregationshemmung kombinieren. Zur Aggregationshemmung wurde zunächst vor allem Acetylsalicylsäure (ASS) eingesetzt. Stärker wirksam sind die sogenannten Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptorhemmer (z. B. Abciximab). Allerdings zeigte die GUSTO-5-Studie, dass die kombinierte Therapie mit einer reduzierten Dosis Reteplase und mit Abciximab im Vergleich zur alleinigen Behandlung mit Reteplase in normaler Dosierung zwar das Reinfarkt-Risiko, nicht aber die 30-Tage-Mortalität weiter senkt. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt die ASSENT-3-Studie, in der der Effekt einer Kombination von Tenecteplase und Abciximab mit einer alleinigen Tenecteplase-Therapie verglichen wurde. Die Kombinationstherapien waren jedoch mit einem deutlich höheren Risiko für ernste Blutungskomplikationen assoziiert. Antithrombin-Therapie: Weil die Freisetzung von Fibrin aus dem Thrombus zu einem prokoagulatorischen Status führt, könnte die zusätzliche Gabe von Heparin die Resultate verbessern. Die Ergebnisse der GUSTO-1-Studie bestätigten diese Vermutung allerdings nicht. Zahlreiche Experten sind dennoch der Ansicht, dass eine Heparin-Gabe erfolgen sollte. Patienten, die eine Thrombolyse mit Streptokinase erhalten, werden daher sehr oft zusätzlich mit unfraktioniertem Heparin behandelt. Perkutane koronare Interventionen: Die Ergebnisse randomisierter Studien zeigen, dass eine mechanische Reperfusion (z. B. Ballon-Angioplastie = PTCA bzw. Stenting) die kurz- und die langfristige Mortalität im Vergleich zu einer medikamentösen Thrombolyse stärker reduzieren. Daher wird heute empfohlen, primär eine mechanische Reperfusion anzustreben, sofern eine solche innerhalb von 90 Minuten nach dem ersten Arztkontakt möglich ist. ASS: Nach einem Myokardinfarkt senkt die Behandlung mit ASS das Risiko, infolge vaskulärer Ereignisse zu sterben. Auch das Risiko für einen nichttödlichen Herzinfarkt oder Schlaganfall nimmt ab. Betablocker: In der Akutphase können Betablocker zur Behandlung einer Tachykardie eingesetzt werden, sie scheinen aber die Mortalität und Morbidität nicht zu beeinflussen. Die Ergebnisse verschiedener Langzeit-Studien sprechen aber dafür, dass nach überstandenem Herzinfarkt eine Dauertherapie mit einem Betablocker die Prognose günstig beeinflusst. ACE-Hemmer: Sie sollten nach hämodynamischer Stabilisierung schon in der Frühphase des Myokardinfarktes eingesetzt werden. ACE-Hemmer senken das Reinfarkt-Risiko und können dazu beitragen, die Entwicklung einer Herzinsuffizienz zu verhindern. Statine: Die Ergebnisse verschiedener Studien weisen darauf hin, dass eine Behandlung mit Statinen das Risiko für tödliche und nichttödliche vaskuläre Ereignisse nach einem Myokardinfarkt senkt. Antikoagulation: Vermutlich senkt die kombinierte Behandlung mit ASS und einer intensiveren oralen Antikoagulation (INR über 2) das Mortalitätsrisiko, das Risiko für einen Reinfarkt und Schlaganfall stärker als eine Behandlung nur mit ASS. Allerdings ist mit einem Anstieg des Risikos für nichttödliche Blutungskomplikationen zu rechnen. (UB)

Quelle: Boersma, E: Acute myocardial infarction, Zeitschrift: THE LANCET, Ausgabe 361 (2003), Seiten: 847-855

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