Kardiovaskuläres Risiko

Praxis-Depesche 4/2023

Milchprodukt ≠ Milchprodukt

Milch, Käse und Joghurt als generell schädlich für die kardiovaskuläre Gesundheit zu deklarieren wird der Lebensmittelgruppe nicht gerecht. Das zeigt eine aktuelle norwegische Studie.

Die Forschenden erhoben die Daten von 1.929 Patient:innen (80 % männlich, Durchschnittsalter 62 Jahre) mit stabiler Angina pectoris anhand eines Fragebogens zum Lebensmittelkonsum. 47 % der Proband:innen wiesen eine Hypertonie auf, 31 % einen Diabetes und 29 % waren Raucher:innen. Alle Befragten nahmen Medikamente ein. Die Teilnehmenden aßen im Durchschnitt täglich 169 ± 108 g / 1.000 kcal an Milchprodukten. Am beliebtesten unter den Molkereiprodukten war Milch, gefolgt von Käse, Joghurt, Sahne, Schmand und Eiscreme.

Im Rahmen der Nachbeobachtung erfasste man das Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse. Das mittlere Follow up für akuten Myokardinfarkt (AMI) betrug 7,8 Jahre, für Schlaganfälle 5,2 Jahre und für Todesfälle 14,1 Jahre. Ein höherer Konsum von Molkereiprodukten und Milch erhöhte pro 50 g / 1.000 kcal-Inkrement das Risiko für einen Schlaganfall um 14 respektive 13 %, das Risiko für kardiovaskulären Tod um 6 respektive 7 % und die Gesamtmortalität um 7 respektive 6 %, während kein Zusammenhang zum Risiko eines akuten Myokardinfarktes (AMI) bestand.

Milchprodukte nicht über einen Kamm scheren

Die Risikowerte hingen aber davon ab, welche Art von Milchprodukt verzehrt wurde. So hatten Patient:innen, die vermehrt Käse aßen, ein geringeres Risiko für einen AMI (Risikosenkung um 8 % pro 10 g / 1.000 kcal), während der Verzehr von Butter mit einem erhöhten Risiko für einen AMI und einer höheren Gesamtmortalität verbunden war (Risikoerhöhung jeweils um 10 % pro 5 g / 1.000 kcal). Weder LDL-C- Werte noch die Einnahme von Statinen beeinflussten die Ergebnisse.

Einschränkungen der Studie waren eine potenzielle Ungenauigkeit bei den mittels Fragebogen erhobenen Daten zur Ernährung und mögliche Veränderungen der bisherigen Ernährungsweise während der Nachbeobachtungszeit. Die Forschenden differenzierten außerdem nicht zwischen fettarmen und fettreichen Milchprodukten.

Die Ernährung als Ganzes im Blick behalten

Der positive kardiovaskuläre Effekt der mediterranen Ernährungsweise mit ihrem geringen Anteil an Milchprodukten ist seit Langem bekannt. Das heißt aber nicht, dass eine gesunde Ernährungsweise zwangsläufig Milchprodukte ausklammern muss. Denn auch für die nordischen Essensgewohnheiten (viel Vollkornprodukte, Beeren, Früchte, Fisch, Nüsse, Rapsöl und fettarme Milchprodukte) als eine das kardiovaskuläre Risiko senkende Ernährungsform nimmt die Evidenz zu.

Praxisfazit

Viele Ärzt:innen empfehlen nach wie vor, beim Konsum von Milch- und Tierprodukten zu fettarmen Varianten zu greifen. Dahinter steckt die Annahme, dass gesättigte Fettsäuren zu einem erhöhten Serum-Cholesterinspiegel und damit zu einem höheren kardiovaskulären Risiko führen. Die Bewertung des Verzehrs von Milchprodukten bedarf aber einer differenzierteren Betrachtung. Unterschiedliche Molkereiprodukte können sich, je nach Fermentation, Eiweiß- und Kalziumgehalt sowie Grad der Homogenisierung, unterschiedlich auf die Lipidwerte auswirken.

Quelle:

Parys AV et al.: The association between dairy intake and risk of cardiovascular disease and mortality in patients with stable angina pectoris. Europ J of Preventive Cardiologie 2023; Epub Sep 22; doi: 10.1093/ eurjpc/zwac217

Langslet Gisle: Dairy fat and cardiovascular disease: good or bad? A lipidologist’s view. Europ J of Preventive Cardiologie 2023; Epub Okt 31; doi: 10.1093/ eurjpc/zwac244

ICD-Codes: I20.0 , I21.0 , A01.0
Das könnte Sie auch interessieren

Alle im Rahmen dieses Internet-Angebots veröffentlichten Artikel sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch Übersetzungen und Zweitveröffentlichungen, vorbehalten. Jegliche Vervielfältigung, Verlinkung oder Weiterverbreitung in jedem Medium als Ganzes oder in Teilen bedarf der schriftlichen Zustimmung des Verlags.

x