Kardiovaskuläre Erkrankungen

Praxis-Depesche 9/2017

Neuer genetischer Risikofaktor identifiziert

Im Alter erhöht sich die Prävalenz von malignen und kardiovaskulären Erkrankungen. Bestimmte Gen-Mutationen, die z. B. mit dem myelodysplastischen Syndrom und mit der AML in Verbindung stehen, finden sich bei älteren Patienten häufiger. Aufgrund von positiven Vorversuchen hypothetisierten die Autoren dieses aktuellen Papers, dass das Auftreten spezieller Mutationen und deren Auswirkung auf das periphere Blut mit der Entstehung der Atherosklerose in Verbindung stehen könnten. Um jeglichen Zweifel zu eliminieren, wiesen sie im Tiermodell nicht nur eine Assoziation sondern Kausalität nach. Es handelt sich um ein neues bzw. erweitertes Verständnis der Atherogenese.

Die Veränderung, die man häufig bei älteren Patienten nachweisen konnte, war eine Expansion hämatopoetischer Klone im peripheren Blut, die bestimmte somatische Mutationen trugen (meistens Loss-of-function-Mutationen der Gene DNMT3A, TET2, ASXL1 und JAK2). Diese Mutationen kommen auch beim myelodysplastischen Syndrom oder bei der AML vor. Weil die mutierten Stammzellen das Potenzial zur Differenzierung in zirkulierende Granulozyten, Monozyten und Lymphozyten nicht verlieren, sind diese Zellen auch im peripheren Blut nachweisbar. Die Autoren definieren das Auftreten solcher mutierter Zellen bei ansonsten hämatologisch unauffälligen Patienten als „CHIP“ (clonal hematopoiesis of indeterminate potential). Bei Menschen über 70 Jahren findet man in über 10% der Fälle CHIP. CHIP wiederum erhöht das Risiko für hämatologische maligne Erkrankungen um das Zehnfache. CHIP: So hängen KHK und Malignität zusammen Auch Patienten ohne die typischen Risikofaktoren wie Rauchen, Diabetes oder Hypertonus können einen Myokardinfarkt erleiden – dann bleibt die Ätiologie häufig unklar. Jetzt könnte ein weiterer Risikofaktor gefunden worden sein, der in eben diesen Fällen eine Erklärung liefert. Denn CHIP erhöht auch das kardiovaskuläre Risiko, wie man nun nach Auswertung von insgesamt vier Kohortenstudien (zwei retrospektive, zwei prospektive) feststellte. Bei über 4700 Patienten mit KHK suchte man mittels Gesamt-Exom-Sequenzierung nach CHIP und verglich die Ergebnisse mit etwa 3500 Kontrollpersonen. Man fand, dass bei CHIP-Trägern das KHK-Risiko 1,9-fach erhöht war. In der Kohorte von Patienten mit Early-onset-Myokardinfarkt steigerte CHIP das Infarktrisiko um das Vierfache. Jede einzelne Mutation war dabei mit einer Risikoerhöhung assoziiert. Zudem konnte man eine vermehrte Koronarverkalkung bei CHIP-mutierten Patienten nachweisen. Kausalität nachgewiesen Mit dem Nachweis von Risikofaktoren ist das so eine Sache: Häufig zeigen sich in großen Datensätzen positive Assoziationen, aber über eine mögliche Kausalität kann oft keine Aussage gemacht werden. Um diesbezüglich bei der Assoziation von CHIP mit KHK Klarheit zu schaffen, forschten die Autoren zudem im Mausmodell. Sie nahmen Mäuse mit induzierter Hypercholesterinämie und führten eine Knochenmarktransplantation an ihnen durch. Dabei erhielten die Mäuse Stammzellen von homozygoten oder heterozygoten TET2-Knockout- Mäusen. Mäuse, die das TET2-Knockout-Knochenmark erhalten hatten, entwickelten größere atherosklerotische Läsionen als die Tiere, die „normale“ Stammzellen erhalten hatten. Bei den Knockout-Tieren fand man zudem eine erhöhte Expression diverser Chemokine und Zytokine, die zur Entstehung der Atherosklerose beitragen. Modifizierbares Risiko = Therapie möglich? Aber wie erklärt man sich den Zusammenhang zwischen den Mutationen und KHK? Die Autoren gehen davon aus, dass es am wahrscheinlichsten ist, dass ein veränderter transskriptionaler Output von Makrophagen die Ursache ist: Makrophagen mediieren zahlreiche inflammatorische Antworten im Körper und sind in atheromatösen Plaque zu hauf zu finden. Da die klonale Hämatopoese wohl ein modifizierbarer Risikofaktor für die KHK darstellt, denkt man nun natürlich auch schon über Therapieansätze nach. CB

Quelle:

Jaiswal S et al.: Clonal hematopoiesis and risk of atherosclerotic cardiovascular disease. N Engl J Med 2017; 377: 111-21

Alle im Rahmen dieses Internet-Angebots veröffentlichten Artikel sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch Übersetzungen und Zweitveröffentlichungen, vorbehalten. Jegliche Vervielfältigung, Verlinkung oder Weiterverbreitung in jedem Medium als Ganzes oder in Teilen bedarf der schriftlichen Zustimmung des Verlags.

x