Verlust einer geliebten Person

Praxis-Depesche 9-10/2021

Nicht jede Trauer ist auch eine Depression

Die Abgrenzung der Trauer von der Depression ist seit langem Gegenstand einer wissenschaftlichen Debatte, die sogar die Definition der Diagnosekriterien beeinflusst. Mit der Frage, ob die beiden Beschwerdebilder voneinander unterschieden werden können, haben sich Forscher der Universität Würzburg befasst.
Nach dem Tod einer nahen Bezugsperson erleben etwa 90 % der Hinterbliebenen normale, also nicht besonders starke und nicht sehr lange andauernde Trauerreaktionen. Gleichwohl suchen manche in dieser Zeit einen Arzt auf – sei es, weil sie sich in ihrem Befinden beeinträchtigt fühlen, sei es, weil sie unter körperlichen Beschwerden leiden. Nicht selten diagnostiziert dann der Arzt eine Depression und verordnet ein entsprechendes Medikament, in der Regel ein Antidepressivum. Ob diese Diagnose richtig ist, oder ob es einen Unterschied zwischen Trauer und Depression gibt, haben nun Wissenschaftler der Universität Würzburg erforscht.
Eine Kohorte von 406 Hinterbliebenen beantwortete das „Wuerzburg Grief Inventory“ (WGI), einen multidimensionalen Fragebogen zur Messung von Trauerreaktionen in deutscher Sprache, sowie die Allgemeine Depressionsskala/Kurzversion (GDS-S), eine Depressionsskala zur Selbsteinschätzung. Die Daten wurden mittels Faktorenanalyse ausgewertet, um strukturelle Ähnlichkeiten und Abweichungen der Beschwerdebilder Trauer und Depression zu identifizieren. Mittels Varianzanalyse (ANOVA) wurde der Einfluss der Faktoren „Beziehung zum Verstorbenen“, „Art des Todes“ und „Zeit seit dem Verlust“ auf die Ergebnisse angewendet. Auf diese Weise konnten die Wissenschaftler verschiedene Komponenten des Trauerns messen. Als Ergebnis stellte sich so beispielsweise heraus, dass die Beziehung zum Verstorbenen zwar die Trauerwerte aber nicht die Depressionswerte veränderte. Das gleiche galt für die Art des Todes oder die Zeit seit dem Verlust. Das Fazit der Autoren: Eine eng gefasste Vorstellung von normaler Trauer, die allein auf Beeinträchtigungen im Denken und Fühlen ausgerichtet ist, hat große Ähnlichkeit mit einer Depression. Legt man aber ein umfassenderes Bild von Trauern zugrunde, dann erweise sich diese als eine Reaktionsform, die sich deutlich von Depression unterscheidet. AT

Alle im Rahmen dieses Internet-Angebots veröffentlichten Artikel sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch Übersetzungen und Zweitveröffentlichungen, vorbehalten. Jegliche Vervielfältigung, Verlinkung oder Weiterverbreitung in jedem Medium als Ganzes oder in Teilen bedarf der schriftlichen Zustimmung des Verlags.

x