Diagnose Krebs

Praxis-Depesche 6/2018

Psychische Belastungen oft unterschätzt

Depressionen und Angststörungen stellen häufige Begleiterkrankungen bei Krebspatienten dar. Sie verschlechtern nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen, sondern wirken sich auch ungünstig auf die Therapieadhärenz und die Überlebensprognose aus. Nur wenige Patienten erhalten jedoch eine angemessene Behandlung.

Etwa jeder fünfte Krebspatient leidet an einer Depression und jeder zehnte an einer Angsterkrankung, mahnen Experten vom St. George‘s University Hospitals NHS Foundation Trust und der Abteilung für Psychiatrie am University College in London. Zum Vergleich: In der Allgemeinbevölkerung beträgt die Prävalenz dieser Erkrankungen 5 bzw. 7%. Besonders depressions- und angstgefährdet sind Patienten mit pulmonalen, gynäkologischen, kolorektalen, hämatologischen oder urogenitalen Tumoren. Das Erkrankungsrisiko hängt unter anderem von der onkologischen Prognose und der Schmerzbelastung ab sowie davon, wie stark die Tumorbehandlung das Körperbild des Patienten verändert. Auch junges Alter, ein schwaches soziales Umfeld sowie – bei kolorektalem und Lungenkarzinom – weibliches Geschlecht prädisponieren für Depressionen und Angsterkrankungen, berichten die Wissenschaftler. Besonders hoher Aufmerksamkeit bedürfen nach ihrer Einschätzung Personen mit psychiatrischen Vorerkrankungen. Denn diese Patienten haben nach einer Tumordiagnose ein hohes Risiko für eine Exazerbation bzw. ein Wiederauftreten der Störungen sowie eine reduzierte Überlebensprognose.
 
„Paraneoplastische“ neuro-psychiatrische Effekte
 
Untersuchungen lassen darauf schließen, dass von den Krebszellen sezernierte Mediatoren sowie paraneoplastische Tumoreffekte direkte neuropsychiatrische Effekte vermitteln. Beispielsweise wirken von Pankreaskarzinomen freigesetzte Zytokine depressionsfördernd. Zudem erhöht die onkologische Therapie das Erkrankungsrisiko: Kortikosteroide, konventionelle Zytostatika, neuere Immuntherapeutika sowie gezielte Tumortherapien können schwere psychiatrische Komplikationen induzieren. Gleiches gilt für endokrine Therapieverfahren, beispielsweise die Androgenentzugstherapie beim Prostatakarzinom sowie die Bestrahlungsbehandlung. Auch operative Eingriffe wie die Ovarektomie in der Prämenopause gehen mit einem hohen Langzeitrisiko für depressive und Angsterkrankungen einher.
Eine Depression oder Angststörung kann prinzipiell zu jedem Zeitpunkt der Krebserkrankung in Erscheinung treten, so die Forscher. Da in vielen Fällen die psychiatrischen Auffälligkeiten der Tumordiagnose vorausgehen, sollte bei der Erstmanifestation einer Depression immer eine Tumorerkrankung ausgeschlossen werden. Am häufigsten manifestieren sich Depressionen während der Akuttherapie. Einigen Patienten wird allerdings erst nach Abschluss der onkologischen Behandlung die Tragweite ihrer Erkrankung bewusst. Psychische Symptome treten daher häufig erst nach der Entlassung aus dem schützenden Therapieumfeld auf. Erstaunlicherweise, so die Wissenschaftler weiter, nehmen Angst und Depressionen im palliativen Setting nicht zu. Auch Patienten, die ihre Krebserkrankung überleben, sind langfristig anfällig für psychische Belastungen. Die Angst vor einem Tumorrezidiv prädisponiert für Depressionen und mindert die Lebensqualität.
Um den betroffenen Patienten helfen zu können, ist es zunächst wichtig, sich der psychiatrischen Auswirkungen von Krebserkrankungen bewusst zu werden, sagen die Wissenschaftler. Schätzungen zufolge erhalten 73% der depressiven Tumorpatienten keine effektive psychiatrische Behandlung. Vorrangiges Behandlungsziel ist die Korrektur direkter biologischer Einflussfaktoren, beispielsweise der Ausgleich eines Vitamin-B12-Mangels, einer Hypothyreose oder von Elektrolytstörungen. Auch eine adäquate Schmerztherapie sowie die Optimierung der systemischen Therapie können die Gemütsverfassung bessern. Alle Krebspatienten sollten zudem von ausgebildeten Psychoonkologen betreut werden und bei Bedarf angstlösende bzw. antidepressive Medikamente erhalten. Bei der Auswahl der Präparate müssen jedoch Interaktionen mit systemischen onkologischen Therapien sowie Kontraindikationen berücksichtigt werden, warnen die Autoren. LO
Quelle:

Pitman A et al.: Depression and anxiety in ... BMJ 2018; 361:k1415. doi: 10.1136/bmj.k1415

Alle im Rahmen dieses Internet-Angebots veröffentlichten Artikel sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch Übersetzungen und Zweitveröffentlichungen, vorbehalten. Jegliche Vervielfältigung, Verlinkung oder Weiterverbreitung in jedem Medium als Ganzes oder in Teilen bedarf der schriftlichen Zustimmung des Verlags.

x