Praxis-Depesche 13/2002

Psychopharmaka-Therapie bei Senioren - wie absetzen oder umstellen?

Kanadische Geriater haben Strategien entwickelt, die helfen sollen, Entzugssymptome und Nebenwirkungen beim Absetzen oder Umstellen einer Therapie mit Psychopharmaka zu minimieren.

Therapeutischer Einsatz: Viele alte Menschen erhalten wegen Schlafstörungen oder Angstzuständen eine Therapie mit Benzodiazepinen. Während gegenüber einem kurzfristigen Einsatz kaum Bedenken bestehen, kann es bei langfristiger Therapie zu kognitiven Beeinträchtigungen bis hin zur Verwirrtheit und zu einem erhöhten Sturz- und Frakturrisiko kommen, so dass das Absetzen der Therapie erforderlich ist. Entzugssymptome: Zu den charakteristischen Benzodiazepin-Entzugssymptomen gehören Ängstlichkeit, Schlafstörungen, Agitation, Nervosität, Übelkeit, Erbrechen, Dysphorie, Wahrnehmungsveränderungen und in schweren Fällen Delir und Psychosen. Diese Symptome sind vor allem nach einem plötzlichen Absetzen einer hochdosierten, langfristigen Therapie zu erwarten, weniger bei einer Dosisreduktion. Absetzen: Wenn eine Benzodiazepin-Abhängigkeit besteht, sollte die Dosis schrittweise über mehrere Wochen (z. B. um 25% pro Woche) reduziert werden. Entzugssymptome sind bei abruptem Absetzen von Präparaten mit kurzer Halbwertszeit eher zu erwarten als bei solchen mit langer Halbwertszeit. Je länger die Therapie gedauert hat, desto langsamer sollte die Dosis reduziert werden. Beim Auftreten von Entzugssymptomen sollten das schuldige Präparat in niedrigerer Dosis wieder verabreicht und das Ausschleichen langsam fortgesetzt werden. Alternativ kann bei einer Therapie mit einem kurz- oder mittellang wirkenden Präparat (beispielsweise Lorazepam, Oxazepam) auf ein langwirkendes Präparat (wie z. B. Diazepam) gewechselt werden, dessen Dosis dann langsam reduziert wird. Präparatewechsel: Der Wechsel auf ein anderes Benzodiazepin beschränkt sich in der Praxis meist auf die Umstellung von einem kurz- auf ein langwirkendes Benzodiazepin, das ein leichteres Ausschleichen der Therapie ermöglicht. Wenn zu vertreten, sollte eine Benzodiazepin-Therapie bei alten Menschen vermieden werden. Therapeutischer Einsatz: Antipsychotika werden zur Behandlung von Psychosen und Schizophrenien sowie zur Behandlung von Demenz-Patienten mit agitierten und aggressiven Verhaltensstörungen verwendet. Generell sollte in regelmäßigen Abständen überprüft werden, ob ein Fortsetzen der Therapie nötig ist. Patienten, die mit typischen Antipsychotika behandelt werden (z. B. Haloperidol) sollten auf eines der neueren atypischen Antipsychotika (z. B. Risperidon, Olanzapin) umgestellt werden, die ein besseres Sicherheitsprofil aufweisen und seltener zu extrapyramidalen Nebenwirkungen und Dyskinesien führen. Entzugssymptome: Das abrupte Absetzen einer antipsychotischen Therapie kann zu folgenden Komplikationen führen: Tremor, Dyskinesie, Übelkeit, Erbrechen, erneutes Auftreten oder Verschlechterung psychotischer Symptome, cholinerger Rebound mit Influenza-ähnlichen Symptomen oder Schlafstörungen, Agitation, Ängstlichkeit, Ruhelosigkeit oder Verwirrung, Anorexie, Diaphorese. Entzugssymptome treten meistens innerhalb von 24 bis 48 Stunden nach dem Absetzen oder einer größeren Dosisreduktion auf. Absetzen: Generell wird vorgeschlagen, die tägliche Dosis in der ersten Woche um 50% zu reduzieren, in der zweiten Woche um weitere 50% und die Therapie anschließend abzusetzen, wenn es dem Patienten gut geht. Treten erneut Symptome auf, die eine Antipsychotika-Therapie erforderlich machen, sollte das bisher eingesetzte Medikament wieder verabreicht werden. Wurde die bisherige Therapie nicht vertragen, empfiehlt sich die Gabe eines anderen Präparates. Präparatewechsel: Die Umstellung auf ein anderes Präparat kann entweder überlappend erfolgen, wobei die Dosis des bisher verabreichten Präparates schrittweise reduziert und die des neuen Präparates schrittweise erhöht wird. Alternativ ist aber auch ein direkter Wechsel unter Beachtung der Äquivalenzdosen möglich. Therapeutischer Einsatz: Depressionen sind bei alten Menschen - speziell bei Demenz-Patienten - sehr häufig. Da Antidepressiva zahlreiche Nebenwirkungen verursachen können, kann ein Absetzen oder eine Umstellung der Therapie erforderlich werden. Generell sollte einem Präparatewechsel der Vorzug vor einer Kombinationstherapie gegeben werden, da diese mit einem erhöhten Nebenwirkungs- und Interaktionsrisiko einhergeht. Entzugssymptome: Beim Absetzen, seltener auch nach einer Dosisreduktion, können Entzugssymptome auftreten. Dazu zählen: gastrointestinale Beschwerden, grippeähnliche Symptome, Schlafstörungen und psychischer Stress. Nach Absetzen eines SSRIs kann es zu Benommenheit, Ataxie, sensorischen Störungen, Aggressionen und impulsiven Verhaltensstörungen kommen. Beim Absetzen einer Therapie mit einem trizyklischen Antidepressivum ist auch mit kardialen Störungen, wie z. B. Tachykardien, zu rechnen. Die Entzugssymptome treten meistens innerhalb weniger Tage auf und verschwinden nach zwei bis drei Wochen von alleine. Absetzen: Generell sollte die Dosis alle ein bis zwei Wochen um 25% reduziert werden. Eine Ausnahme ist Fluoxetin, das eine lange Halbwertszeit und aktive Metaboliten hat, so dass keine Dosisreduktion erforderlich ist. Präparatewechsel: Beim Wechsel auf ein anderes Präparat sollte das erste Präparat erst "ausgewaschen" werden (z. B. fünf Halbwertszeiten abwarten), bevor ein neues Präparat verabreicht wird. Bei Patienten mit hohem Rezidivrisiko oder Suizidgefahr ist es meist sicherer, zunächst das neue Präparat zu verabreichen und dann das alte langsam abzusetzen. Alternativ kann die Dosis des alten Präparates reduziert und die Dosis des neuen langsam erhöht werden. (UB)

Quelle: Lee, M: Discontinuing or switching psychotropic therapy for older patients: Is tapering necessary?, Zeitschrift: Geriatrics and Aging, Ausgabe 4 (2001), Seiten: 36-39

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