Praxis-Depesche 12/2002

Richtgrößenprüfung - richtig reagieren Verfahrensrechtliche Möglichkeiten und Praxisbesonderheiten

In der letzten Ausgabe wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die Prüfung der Verordnungsweise in den KVen zunimmt. Im Fokus der Prüfung steht dabei die Richtgrößenprüfung, obwohl noch nicht einmal die Hälfte der KVen diese Prüfmethode anwendet.

Es besteht daher die kuriose Situation, dass seit dem 1.1.1999 bundesweit für alle Ärzte die Richtgrößen verbindlich sein sollen und sind, die Prüfsituation in Deutschland diese Realität aber nicht widerspiegelt. So wird mancherorts überhaupt nicht geprüft, Bayern wiederum führt Einzelfallprüfungen durch, andere wiederum wenden die Methode der statistischen Durchschnittsprüfung an. Bekanntlich sind die über § 84 Abs. 3 und 106 SGB V eingeführten Richtgrößen in den einzelnen KV-Bereichen zwischen den KVen und den Krankenkassenverbänden vertraglich ausgehandelt worden. Diese Vertragsinhalte haben ihren Niederschlag in den so genannten "Richtgrößenvereinbarungen" gefunden. Wichtig: Besorgen Sie sich die Richtgrößen-Vereinbarung Ihrer KV! Sollten Sie die Mitteilung des Prüfungsausschusses über die Einleitung eines Prüfverfahrens der Richtgrößenprüfung erhalten, gilt es zu reagieren - aber wie? Die Prüfgremien verwenden derzeit, soweit feststellbar, in jeder KV ein fast gleichlautendes Anschreiben an den Arzt, in dem über die Tatsache der Einleitung des Verfahrens informiert wird und mit dem der Arzt gleichzeitig aufgefordert wird, binnen vier Wochen eventuell vorhandene Praxisbesonderheiten vorzutragen. Daneben wird die erforderliche Verordnungsstatistik für den relevanten Prüfzeitraum beigefügt. Mit diesen Anschreiben wird der Eindruck erweckt, als ob der Sachvortrag der Praxisbesonderheiten die einzig relevante Verteidigungsmöglichkeit des Arztes darstellen würde. Merke: Dieser Eindruck trifft nicht zu. Bevor Sie als Arzt sich daran machen mögliche Praxisbesonderheiten Ihrer Praxis aus der internen Statistik heraus zu arbeiten, sollten Sie weitere potenzielle Argumente zur Verteidigung zusammentragen. Neben der intensiven Prüfung der Datenlage nach erfolgter Akteneinsicht sollten Sie darüber nachdenken, ob und wie man eine Richtgrößenprüfung überhaupt durchführen kann. Diesbezüglich bestehen nämlich erhebliche Bedenken. Jeder Arzt/Ärztin hat sich seit spätestens dem 1.7.1999 an die für seine/ihre Fachgruppe festgelegten Richtgrößensummen zu halten, und zwar differenziert nach Mitglieder/Familie und Rentner. Mit der Richtgrößensumme sei, so die Auffassung des Gesetzgebers, eine ausreichende, notwendige und wirtschaftliche Versorgung der Bevölkerung gewährleistet. Diese Unterstellung des Gesetzgebers ist aber aus unterschiedlichen Gründen unzutreffend. Merke: Sollten Sie in die Prüfung kommen, dann fordern Sie den Ausschuss schriftlich auf, Ihnen die Prüfmethode mitzuteilen, da dies Teil der Verteidigungsstrategie ist. Denklogisch muss die Richtgrößenprüfung als Methode etwas anderes sein als die statistische Durchschnittsprüfung, sonst hätte der Gesetzgeber keine neue Prüfmethode aufnehmen müssen. Allerdings hat er es unterlassen, die Prüfmethode zu regeln. Innerhalb einer Richtgrößenvereinbarung können nur Be- und Verrechnungsschritte erläutert sein, aber keine Prüfmethode, da dies nicht die Aufgabe der Vertragspartner ist. Eigentlich kann derzeit bei der bestehenden Gesetzesla-ge keine Richtgrößenprüfung durchgeführt werden. Im Zusammenhang mit der Bildung von Richtgrößen war und ist gesetzlich vorgesehen, dass sich der Arzt durch den Nachweis von Praxisbesonderheiten vom Vorwurf der Unwirtschaftlichkeit entlasten und damit einen Regress abwehren kann. Als weitere Entlastungsmöglichkeit zählen die kompensatorischen Einsparungen. Dabei ist zu klären, was Praxisbesonderheiten sind und wie man sie herausarbeitet. Merke: Als Praxisbesonderheiten gelten Eigenschaften der Patienten bzw. Erkrankungen, die deutlich von der Durchschnittspraxis der Vergleichsgruppe abweichen. Praxisbesonderheiten werden durch das Patientenkollektiv und nicht durch Praxiseigenschaften wie technische Ausstattung bestimmt. Erst wenn sich gehäuft besondere Patientengruppen, also Fallgruppen und Diagnosen, einfinden, wird dieser Umstand zur Praxisbesonderheit. Es ist deshalb von entscheidender Bedeutung zur Regressprophylaxe bzw. -abwehr, Praxisbesonderheiten zu kennen, zu dokumentieren und den Prüfgremien nachzuweisen. Um Ärzte mit besonderer Klientel nicht ständig mit Verfahren zu überziehen, hat man in den Richtgrößenvereinbarungen unterschiedlich festgeschrieben, welche Fälle quasi automatisch als Praxisbesonderheit anerkannt werden. Diese Fälle sind in den Anlagen 2 und 3 der Bundesempfehlung zur Richtgrößenvereinbarung aufgeführt. Wichtig: Prüfen Sie im ersten Schritt die Anlage zur Richtgrößenvereinbarung Ihrer KV. Listen Sie eventuell vorhandenes Patientenklientel mit den entsprechenden Verordnungssummen auf, reichen Sie diese Liste dem Prüfgremium ein. Diese Klientel wird damit per se berücksichtigt. Die Sozialgerichte bis hin zum Bundessozialgericht haben sich in der Vergangenheit vielfach mit der Frage der Praxisbesonderheiten beschäftigen müssen. Folgende Fallgruppen wurden in einschlägigen Verfahren anerkannt: A besondere Patientengruppen A spezielle Diagnosen/Methoden A Anfängerpraxis unter bestimmten Umständen Ein besonderes Patientenklientel kann abweichend von der Fachgruppe u. a. vorliegen, wenn A eine überdurchschnittliche Häufung von Patienten mit chronischen Erkrankungen vorhanden ist, A überdurchschnittlich viele alte und pflegebedürftige Patienten in der Praxis existieren, A ein hoher Anteil zuzahlungsbefreiter Patienten mit Auswirkung auf die Nettokosten vorhanden ist, A eine überdurchschnittliche Häufung von Überweisungsfällen besteht, A eine kardiologische Ausrichtung vorliegt, A bei Praxisbeginn die Fallzahl gering ist. Die vorliegenden Beispiele gelten gleichermaßen bei teuren Einzelfällen oder im Falle eines Praxisschwerpunktes. Ein teurer Einzelfall, der fast in jeder Praxis anzutreffen ist, ist ein Sonderfall der Praxisbesonderheit. Voraussetzung ist, dass die gewählten Therapien medizinisch gesichert, indiziert und notwendig sind. Es gibt weder gesetzliche Vorgaben noch Gerichtsurteile, die als Richtschnur verwendbar für die Frage wären, ab welcher Patientenzahl eine Praxisbesonderheit anzunehmen wäre. Wichtig ist deshalb, dass der Arzt ein Bewusstsein für die Problematik entwickelt, die Kosten berechnet und darlegt. Empfehlung: Ab dem Vier- bis Fünffachen des durchschnittlichen Verordnungsvolumens, gemittelt aus den Richtgrößen für Rentner und Allgemeinversicherte in der typischen Verteilung, sollten diese als teure Einzelfälle bei der KV angemeldet werden.

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