Praxis-Depesche 22/2003

Schizophrenie-Behandlung mit atypischen Antipsychotika

Atypische Antipsychotika spielen in der Behandlung der Schizophrenie eine wichtige Rolle. In einer Übersichtsarbeit fassen Schweizer Wissenschaftler die Charakteristika der aktuell verwendeten Präparate zusammen.

Vor 30 Jahren wurde mit Clozapin das erste atypische Antipsychotikum eingeführt. Von klassischen Substanzen unterschied es sich vor allem dadurch, dass es nicht zu extrapyramidalen Nebenwirkungen führte. Da unter einer Clozapin-Gabe ein erhöhtes Agranulozytose-Risiko besteht, wurde es in vielen Ländern sehr restriktiv eingesetzt. Nachdem in den späten 80er-Jahren nachgewiesen wurde, dass es sich besonders zur Behandlung therapierefraktärer Schizophrenien eignet, wuchs das Interesse an den "Atypika" wieder. Die Bemühung, Clozapin-ähnliche Substanzen mit geringerem Risiko zu entwickeln, brachte mittlerweile Risperidon, Olanzapin, Quetiapin, Ziprasidon und Amisulprid hervor. Obwohl sie sehr heterogen sind, werden sie - gemeinsam mit Clozapin - als "atypische Antipsychotika" bezeichnet. Im wesentlichen zeichnen sie sich durch folgende Eigenschaften aus: 1. höhere Affinität zu 5-HT2-Rezeptoren (außer Amisulprid) 2. effektiv gegen Plus-Symptomatik 3. fraglich effektiv gegen Minus-Symptomatik 4. seltenere Auslösung extrapyramidaler Nebenwirkungen 5. seltenere Auslösung einer tardiven Dyskinesie 6. geringerer Prolaktin-Anstieg (außer Amisulprid und Risperidon). Zur Plus-Symptomatik zählen vor allem Halluzinationen, Wahnvorstellungen, Gedanken-Störungen, Gedanken-Eingebung oder -Entzug sowie psychomotorische Störungen. In kontrollierten Studien wurde nachgewiesen, dass Atypika bei akuter Schizophrenie insgesamt vergleichbar oder sogar besser wirksam sind als Haloperidol, sowohl bei der ersten Schizophrenie-Episode als auch bei chronisch rezidivierender Schizophrenie. In der Erhaltungstherapie beeinflussen alle Atypika das Rezidivrisiko positiv. Daher werden sie zur First-line-Therapie in allen Schizophrenie-Phasen empfohlen. Der Begriff bezieht sich auf Symptome wie Affekt-Verflachung, Emotions-Verarmung, Verlangsamung von Sprache und Gedanken, Antriebsarmut, Motivationsmangel, Interesselosigkeit und sozialen Rückzug. Minus-Symptome sind nicht Schizophrenie-spezifisch und müssen insbesondere von depressiven Symptomen abgegrenzt werden. Initiale Erfahrungen mit Clozapin führten zur Hoffnung, dass sich Atypika zur ihrer Behandlung besser eignen würden als klassische Antipsychotika. In einer großen Metaanalyse wirkten jedoch nur Risperidon und Olanzapin besser auf Negativ-Symptome als Haloperidol, nicht aber Quetiapin. Vorerst sollte in weiteren Untersuchungen der Effekt auf primäre (genuine) und sekundäre (z. B. in Folge der Plus-Symptomatik entstandene) Minus-Symptome differenziert werden. Bis zu 30% der Patienten mit chronischer Schizophrenie sprechen unzureichend oder gar nicht auf klassische Antipsychotika an. Mittlerweile lassen verschiedene Studien vermuten, dass neuere Atypika hier helfen können. Allerdings lassen Design und Qualität der Studien meist keinen definitiven Schluss zu. Zu Zipradison und Amisulprid liegen derzeit keine Studien vor, die eine Wirksamkeit in dieser Indikation belegen. Auch unter ihnen gilt es, eine Reihe potenzieller Nebenwirkungen zu beachten. Dazu zählen vor allem: Akute extrapyramidale Nebenwirkungen (EPS): Diese manifestieren sich, wenn mindestens 75% der D2-Rezeptoren in den Basalganglien blockiert werden, und äußern sich als Parkinsonismus, Akathisie oder akute Dystonie. Anders als klassische Antipsychotika, die stark und unselektiv an D2-Rezeptoren binden, verursachen Atypika deutlich seltener EPS. Bei Risperidon und Olanzapin steigt die D2-Blockade mit zunehmender Dosis jedoch. Als "Schwellendosis" gelten daher 4 bis 5 mg/d Risperidon bzw. 20 bis 25 mg/d Olanzapin. Amisulprid scheint ab 800 bis 1000 mg/d ebenfalls häufiger EPS auszulösen. Allerdings erlauben individuelle Faktoren (Sensitivität, Resorption, Metabolismus, Interaktionen) keine genaue Vorhersage des EPS-Risikos. Tardive Dyskinesie: Die unfreiwilligen, schnellen Bewegungen (z. B. Grimassieren, Finger- und Zehenbewegungen) manifestieren sich oft erst nach monate- bis jahrelanger Behandlung mit klassischen Antipsychotika, wobei bis zu 30% der Patienten betroffen sind. Vermutlich spielt auch hier die D2-Blockade eine entscheidende Rolle. Nach gegenwärtiger Datenlage verursachen Risperidon, Olanzapin, Zipradison und vermutlich auch Quetiapin seltener tardive Dyskinesien. Ob dies auch für Amisulprid gilt, ist unklar. Gewichtszunahme: Eine antipsychotische Therapie kann - vermutlich aus zahlreichen, bislang noch nicht geklärten Gründen - zu mitunter drastischer Gewichtszunahme führen. Dies gilt speziell für Atypika, wobei die einzige Ausnahme Zipradison zu sein scheint. Blutzucker-Regulation: Bei schizophrenen Patienten finden sich häufiger erhöhte Blutzuckerwerte und Typ-2-Diabetes, die zum einen evtl. aufgrund der Gewichtszunahme zusammenhängen. Allerdings scheint auch ein Gewichts-unabhängiger Zusammenhang zu bestehen. Lediglich für Amisulprid und Ziprasidon wurde bislang kein erhöhtes Diabetes-Risiko berichtet. Prolactin: Während die klassischen Antipsychotika durch ihre unselektive D2-Blockade häufig zu einem Prolactin-Anstieg führen, was sich in verschiedenen hormonellen Störungen äußern kann (beispielsweise Libidoverlust, Schwellung der Brustdrüsen), ist dieses Risiko bei den atypischen Antipsychotika (Ausnahme: Risperison, Amisulprid) deutlich niedriger. (UB)

Quelle: Bridler, R: Atypical antipsychotics in the treatment of schizophrenia, Zeitschrift: Swiss Medical Weekly, Ausgabe 133 (2003), Seiten: 63-76

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