Praxis-Depesche 14/2002

Vor dem Regress immer Beratung? Der Sinn vieler Beratungsgespräche erscheint fraglich

In jüngster Zeit laden viele KVen ihre Mitglieder verstärkt zu Pharmakotherapie-Beratungsgesprächen ein. Hat es überhaupt einen Sinn, sich an solchen Gesprächen zu beteiligen? Wie ist die Qualität dieser Beratungen? Diese Fragen stellen sich die meisten Ärzte. Trotz der 1999 bundesweit eingeführten Richtgrößen nehmen die Arzneimittelausgaben weiterhin zu. Die KVen bemühen sich, dieser Tatsache auf unterschiedlichem Wege zu begegnen. So wird einerseits versucht, die Liste der Praxisbesonderheiten zu erweitern, was den Ärzten das Einhalten der Richtgrößenvereinbarungen erleichtern und gleichzeitig das Risiko statistischer Auffälligkeiten verringern könnte. Doch es werden auch subtilere Maßnahmen angewendet, um den Arzt zur Einsparung von Arzneimitteln zu motivieren. Dazu zählen beispielsweise so genannte "Brandbriefe" von KVen, in denen die Mitglieder aufgefordert werden, bestimmte Wirkstoffgruppen oder Präparate nicht mehr zu verordnen, weil sie zu teuer, umstritten oder durch Generika zu ersetzen seien. Bei Weiterverordnung drohe ein Regress, heißt es dann. Diese Briefe sollen in erster Linie wohl eine psychologische Wirkung erzielen. Daneben werden jedoch auch Rundschreiben mit Beratungsangeboten an jene Ärzte verschickt, die durch eine statistische Überschreitung ihrer Richtgröße auffällig geworden sind, wie etwa in der KV Nordrhein mit Schreiben vom 29.5.2002 geschehen. Zitat: "Die individuelle Verantwortung für eine rationale Pharmakotherapie wird somit immer wichtiger. Denn wer nachweislich unwirtschaftlich verordnet, dem droht ein Regress. ... Dieses Angebot wird Sie in die Lage versetzen, eventuell mögliche Regresse umgehen zu können, fordert Ihnen aber auch ein gewisses Engagement ab, indem Sie im Rahmen Ihres Praxisalltags gegebene Empfehlungen konsequent umsetzen." Die Basis einer solchen Beratung stellt in Nordrhein eine individuelle Verordnungskostenanalyse des BKK-Landesverbandes dar. Hinsichtlich der Qualität der hier angebotenen Beratung lässt sich dem Rundschreiben jedoch nichts Konkretes entnehmen. Ziel ist es offenbar, das vermutete Einsparpotenzial des einzelnen Arztes aufzuzeigen und ihn anzuregen, sein Verordnungsverhalten entsprechend zu ändern. Zieht man die Prüfvereinbarung der KV Nordrhein heran und unterstellt man, dass die dort genannten Hinweise zur Pharmakotherapieberatung in gleicher Weise als Prüfungsmaßnahme herangezogen werden würden, dann sollte die Beratung folgende Aspekte beinhalten: A Preiswürdigkeit der verordneten Arzneimittel unter Berücksichtigung des therapeutischen Nutzens A Mehrfachverordnungen für pharmakologisch oder therapeutisch gleichsinnig wirkende Arzneimittel A Verordnungsmengen, Verordnungsbestände, Verordnungsumfang A Indikationsbezug der Verordnungen A Wirtschaftlichkeit der Verordnungen im Einzelfall Da bei den Beratungen im Regelfall lediglich statistisches Datenmaterial zur Verfügung steht und keine Einzelfallberatung anhand konkreter Patientenfälle vorgenommen wird, ist der Nutzen einer solchen Maßnahme fraglich. Im Bemühen, Arzneimittelkosten einzusparen, geht die KV Bayern noch einen Schritt weiter. Unter dem Motto "Beratung vor Regress" erhielten die Vertragsärzte am 6. 5. 2002 als Teil eines Arzneimittelprogramms ein schriftliches Beratungsangebot. Neben der Beratung des Arztes ist hier auch die Beratung des Patienten durch den Arzt vorgesehen. Und so soll dieses Arzneimittelprogramm ablaufen: Der Arzt unterzeichnet eine Vereinbarung über die Einsparziele; für die Patienten-Beratung erhält er eine Aufwandsentschädigung. Werden durch das Programm nachweislich Einsparungen erzielt, so erhalten die teilnehmenden Praxen zusätzlich einen finanziellen Bonus; bei diesen Praxen wird auf Regresse verzichtet. - Ein ähnliches Programm hat übrigens auch die KV Nordrhein mit den Kassen vereinbart. Solche sowohl rechtlich als auch medizinisch-pharmakologisch nicht unproblematischen Programme deuten zumindest an, dass bei den KVen im Vordergrund der Bemühungen um Kosteneinsparungen die Beratung des Arztes steht. Den Rundschreiben sind in der Regel jedoch keine Hinweise auf Inhalt oder Qualität der Beratungen beigefügt. Mit dem Grundsatz "Beratung vor Regress" haben diese Beratungen nichts gemeinsam (wenn auch vielleicht mit den Anschreiben etwas anderes suggeriert wird). Der Grundsatz "Beratung vor Regress" hat sich im Verlauf der Wirtschaftlichkeitsprüfungen entwickelt; er ist in vielen Prüfvereinbarungen dokumentiert. Danach ist die Beratung eine mögliche Maßnahme des Prüfungsausschusses. In der hessischen Prüfvereinbarung zu §25 Absatz 1 heißt es dazu: "Die gezielte Beratung der Ärzte, die nach § 106 Abs.5 SGB V weiteren Prüfungsmaßnahmen in der Regel vorangehen soll, dient dem Zweck, die Verordnungsweise der Ärzte im Sinne der Arzneimittel-Richtlinien positiv zu beeinflussen." In der Prüfvereinbarung der KV Schleswig-Holstein kann der Prüfungsausschuss unter anderem eine schriftliche Beratung durchführen oder auch ein individuelles Arzneimit-tel-Informationsgespräch beschließen und anordnen. Eine möglichst umgehende persönliche Beratung soll dann im Vordergrund stehen, wenn der Arzt erstmalig die Verordnungskosten seiner Vergleichsgruppe in größerem Ausmaß überschreitet - es sei denn, ein besonders hohes Maß an Unwirtschaftlichkeit lässt eine solche Beratung als nicht angemessen erscheinen. Viele Prüfvereinbarungen in Deutschland (zum Beispiel in Bayern, Südbaden, Mecklenburg-Vorpommern und in anderen KVen) sind ähnlich formuliert oder haben eine zumindest sinngemäße Intention wie die zitierte Vereinbarung aus Schleswig-Holstein. Bedauerlicherweise sieht die Realität im Prüfverfahren oft ganz anders aus. Der Grundsatz "Beratung vor Regress" wird häufig nicht umgesetzt, auch bei erstmaliger oder bei geringer prozentualer Überschreitung der Richtgrößen. Unabhängig davon, ob es sich um eine präventive Beratung oder um eine angeordnete Maßnahme eines Prüfgremiums handelt: Das Hauptproblem solcher Beratungsgespräche besteht offenbar in fehlenden Standards bezüglich des Inhalts und der Qualität der Beratungen. Solche Standards müssten bundeseinheitlich identisch sein und schriftlich dokumentiert werden; schließlich soll der Arzt nach durchgeführter Beratung verschärft für seine Verordnungen haften. Zu den Beratungs-Standards sollte zählen: A die konkrete Beschreibung des Inhalts der Beratung A die Person des Beraters A die Eignung des Beraters zur qualitativen Beratung A die Unterlagen, anhand derer die Beratung stattfinden soll A korrektes, verifiziertes statistisches Datenmaterial A ein Mindestmaß konkreter Einzelfallprüfungen von Patientenfällen Nicht ausreichend für eine Beratung sollten etwa sein: A das Vorführen von Preislis-ten am PC A die bloße Aufforderung, den Generika-Anteil zu erhöhen bzw. den Anteil an umstrittenen Arzneimitteln oder "me-too-Präparaten" zu senken A und Ähnliches Wenn Sie eine Einladung zu einem "Beratungsgespräch vor dem Regress" erhalten, fordern Sie die KV auf, Ihnen den Inhalt und den Ablauf des Gesprächs vorab schriftlich mitzuteilen. Bestehen Sie auf einer Einzelfallberatung mit konkreten Patientenfällen in bestimmten Indikationsbereichen. Nehmen Sie an dem Gespräch nur in Begleitung eines Fachkollegen oder Rechtsanwalts teil. Fertigen Sie ein Protokoll über die Gesprächsinhalte an und halten Sie auch Ihre Bewertung des Gesprächs fest. Schicken Sie eine Kopie des Protokolls an Ihre KV. Bezieht sich die Beratung bloß auf statistisches Datenmaterial Ihrer Praxis im Vergleich zu den Werten Ihrer Fachgruppen, bleibt das Gespräch nur im abstrakten Bereich. Da Sie vertragsarztrechtlich den medizinischen Standard schulden, ist das die qualitative Messlatte auch innerhalb der Pharmakotherapie. Ob dies mit einem Originalpräparat oder mit einem Generikum erreicht werden kann, ist zunächst zweitrangig, aber doch eine wichtige Frage.

In jüngster Zeit laden viele KVen ihre Mitglieder verstärkt zu Pharmakotherapie-Beratungsgesprächen ein. Hat es überhaupt einen Sinn, sich an solchen Gesprächen zu beteiligen? Wie ist die Qualität dieser Beratungen? Diese Fragen stellen sich die meisten Ärzte. Trotz der 1999 bundesweit eingeführten Richtgrößen nehmen die Arzneimittelausgaben weiterhin zu. Die KVen bemühen sich, dieser Tatsache auf unterschiedlichem Wege zu begegnen. So wird einerseits versucht, die Liste der Praxisbesonderheiten zu erweitern, was den Ärzten das Einhalten der Richtgrößenvereinbarungen erleichtern und gleichzeitig das Risiko statistischer Auffälligkeiten verringern könnte. Doch es werden auch subtilere Maßnahmen angewendet, um den Arzt zur Einsparung von Arzneimitteln zu motivieren. Dazu zählen beispielsweise so genannte "Brandbriefe" von KVen, in denen die Mitglieder aufgefordert werden, bestimmte Wirkstoffgruppen oder Präparate nicht mehr zu verordnen, weil sie zu teuer, umstritten oder durch Generika zu ersetzen seien. Bei Weiterverordnung drohe ein Regress, heißt es dann. Diese Briefe sollen in erster Linie wohl eine psychologische Wirkung erzielen. Daneben werden jedoch auch Rundschreiben mit Beratungsangeboten an jene Ärzte verschickt, die durch eine statistische Überschreitung ihrer Richtgröße auffällig geworden sind, wie etwa in der KV Nordrhein mit Schreiben vom 29.5.2002 geschehen. Zitat: "Die individuelle Verantwortung für eine rationale Pharmakotherapie wird somit immer wichtiger. Denn wer nachweislich unwirtschaftlich verordnet, dem droht ein Regress. ... Dieses Angebot wird Sie in die Lage versetzen, eventuell mögliche Regresse umgehen zu können, fordert Ihnen aber auch ein gewisses Engagement ab, indem Sie im Rahmen Ihres Praxisalltags gegebene Empfehlungen konsequent umsetzen." Die Basis einer solchen Beratung stellt in Nordrhein eine individuelle Verordnungskostenanalyse des BKK-Landesverbandes dar. Hinsichtlich der Qualität der hier angebotenen Beratung lässt sich dem Rundschreiben jedoch nichts Konkretes entnehmen. Ziel ist es offenbar, das vermutete Einsparpotenzial des einzelnen Arztes aufzuzeigen und ihn anzuregen, sein Verordnungsverhalten entsprechend zu ändern. Zieht man die Prüfvereinbarung der KV Nordrhein heran und unterstellt man, dass die dort genannten Hinweise zur Pharmakotherapieberatung in gleicher Weise als Prüfungsmaßnahme herangezogen werden würden, dann sollte die Beratung folgende Aspekte beinhalten: A Preiswürdigkeit der verordneten Arzneimittel unter Berücksichtigung des therapeutischen Nutzens A Mehrfachverordnungen für pharmakologisch oder therapeutisch gleichsinnig wirkende Arzneimittel A Verordnungsmengen, Verordnungsbestände, Verordnungsumfang A Indikationsbezug der Verordnungen A Wirtschaftlichkeit der Verordnungen im Einzelfall Da bei den Beratungen im Regelfall lediglich statistisches Datenmaterial zur Verfügung steht und keine Einzelfallberatung anhand konkreter Patientenfälle vorgenommen wird, ist der Nutzen einer solchen Maßnahme fraglich. Im Bemühen, Arzneimittelkosten einzusparen, geht die KV Bayern noch einen Schritt weiter. Unter dem Motto "Beratung vor Regress" erhielten die Vertragsärzte am 6. 5. 2002 als Teil eines Arzneimittelprogramms ein schriftliches Beratungsangebot. Neben der Beratung des Arztes ist hier auch die Beratung des Patienten durch den Arzt vorgesehen. Und so soll dieses Arzneimittelprogramm ablaufen: Der Arzt unterzeichnet eine Vereinbarung über die Einsparziele; für die Patienten-Beratung erhält er eine Aufwandsentschädigung. Werden durch das Programm nachweislich Einsparungen erzielt, so erhalten die teilnehmenden Praxen zusätzlich einen finanziellen Bonus; bei diesen Praxen wird auf Regresse verzichtet. - Ein ähnliches Programm hat übrigens auch die KV Nordrhein mit den Kassen vereinbart. Solche sowohl rechtlich als auch medizinisch-pharmakologisch nicht unproblematischen Programme deuten zumindest an, dass bei den KVen im Vordergrund der Bemühungen um Kosteneinsparungen die Beratung des Arztes steht. Den Rundschreiben sind in der Regel jedoch keine Hinweise auf Inhalt oder Qualität der Beratungen beigefügt. Mit dem Grundsatz "Beratung vor Regress" haben diese Beratungen nichts gemeinsam (wenn auch vielleicht mit den Anschreiben etwas anderes suggeriert wird). Der Grundsatz "Beratung vor Regress" hat sich im Verlauf der Wirtschaftlichkeitsprüfungen entwickelt; er ist in vielen Prüfvereinbarungen dokumentiert. Danach ist die Beratung eine mögliche Maßnahme des Prüfungsausschusses. In der hessischen Prüfvereinbarung zu §25 Absatz 1 heißt es dazu: "Die gezielte Beratung der Ärzte, die nach § 106 Abs.5 SGB V weiteren Prüfungsmaßnahmen in der Regel vorangehen soll, dient dem Zweck, die Verordnungsweise der Ärzte im Sinne der Arzneimittel-Richtlinien positiv zu beeinflussen." In der Prüfvereinbarung der KV Schleswig-Holstein kann der Prüfungsausschuss unter anderem eine schriftliche Beratung durchführen oder auch ein individuelles Arzneimit-tel-Informationsgespräch beschließen und anordnen. Eine möglichst umgehende persönliche Beratung soll dann im Vordergrund stehen, wenn der Arzt erstmalig die Verordnungskosten seiner Vergleichsgruppe in größerem Ausmaß überschreitet - es sei denn, ein besonders hohes Maß an Unwirtschaftlichkeit lässt eine solche Beratung als nicht angemessen erscheinen. Viele Prüfvereinbarungen in Deutschland (zum Beispiel in Bayern, Südbaden, Mecklenburg-Vorpommern und in anderen KVen) sind ähnlich formuliert oder haben eine zumindest sinngemäße Intention wie die zitierte Vereinbarung aus Schleswig-Holstein. Bedauerlicherweise sieht die Realität im Prüfverfahren oft ganz anders aus. Der Grundsatz "Beratung vor Regress" wird häufig nicht umgesetzt, auch bei erstmaliger oder bei geringer prozentualer Überschreitung der Richtgrößen. Unabhängig davon, ob es sich um eine präventive Beratung oder um eine angeordnete Maßnahme eines Prüfgremiums handelt: Das Hauptproblem solcher Beratungsgespräche besteht offenbar in fehlenden Standards bezüglich des Inhalts und der Qualität der Beratungen. Solche Standards müssten bundeseinheitlich identisch sein und schriftlich dokumentiert werden; schließlich soll der Arzt nach durchgeführter Beratung verschärft für seine Verordnungen haften. Zu den Beratungs-Standards sollte zählen: A die konkrete Beschreibung des Inhalts der Beratung A die Person des Beraters A die Eignung des Beraters zur qualitativen Beratung A die Unterlagen, anhand derer die Beratung stattfinden soll A korrektes, verifiziertes statistisches Datenmaterial A ein Mindestmaß konkreter Einzelfallprüfungen von Patientenfällen Nicht ausreichend für eine Beratung sollten etwa sein: A das Vorführen von Preislis-ten am PC A die bloße Aufforderung, den Generika-Anteil zu erhöhen bzw. den Anteil an umstrittenen Arzneimitteln oder "me-too-Präparaten" zu senken A und Ähnliches Wenn Sie eine Einladung zu einem "Beratungsgespräch vor dem Regress" erhalten, fordern Sie die KV auf, Ihnen den Inhalt und den Ablauf des Gesprächs vorab schriftlich mitzuteilen. Bestehen Sie auf einer Einzelfallberatung mit konkreten Patientenfällen in bestimmten Indikationsbereichen. Nehmen Sie an dem Gespräch nur in Begleitung eines Fachkollegen oder Rechtsanwalts teil. Fertigen Sie ein Protokoll über die Gesprächsinhalte an und halten Sie auch Ihre Bewertung des Gesprächs fest. Schicken Sie eine Kopie des Protokolls an Ihre KV. Bezieht sich die Beratung bloß auf statistisches Datenmaterial Ihrer Praxis im Vergleich zu den Werten Ihrer Fachgruppen, bleibt das Gespräch nur im abstrakten Bereich. Da Sie vertragsarztrechtlich den medizinischen Standard schulden, ist das die qualitative Messlatte auch innerhalb der Pharmakotherapie. Ob dies mit einem Originalpräparat oder mit einem Generikum erreicht werden kann, ist zunächst zweitrangig, aber doch eine wichtige Frage.

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