Auf den Spuren von SARS-CoV-2

Praxis-Depesche 4/2020

Was die Gene über das Virus verraten

An der genetischen Information eines Organismus lässt sich oft vieles über dessen Herkunft ablesen. Jetzt nahmen Forscher das Genom des neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2) unter die Lupe. Und haben zwei Theorien zu dessen Entstehung aufgestellt.
Kurz nach Ausbruch der Pandemie sequenzierten chinesische Wissenschaftler das Genom des neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2) und machten die Daten weltweit zugänglich. Laut einem internationalen Forscherteam lassen die Gensequenzen zweifelsfrei erkennen, dass es sich bei SARS-CoV-2 um ein durch natürliche Selektion entstandenes Virus und kein Laborkonstrukt handelt. Das zeigen biochemische Analysen des Bindeproteins Spike, durch das Coronaviren an den humanen ACE2-Rezeptor andocken und in die Wirtszelle eindringen.
 
Der Mythos vom Laborvirus
SARS-CoV-2 bindet hochaffin an den ACE2-Rezeptor von Menschen. Dennoch ergaben bioinformatische Berechnungen, dass die Bindedomäne zwar kompatibel, aber nicht ideal ist – ein Indiz dafür, dass das Virus nicht durch genetische Manipulation, sondern natürliche Selektion entstanden ist. Zudem unterscheidet sich die gesamte Molekularstruktur von SARSCoV- 2 deutlich von der anderer Coronaviren. Hätte man SARS-CoV-2 im Labor konstruiert, hätte man sich höchstwahrscheinlich an der Molekularstruktur eines bereits bekannten Virenstamms orientiert.
 
Ursprung ungewiss
Für die Entstehung des Virus durch natürliche Selektion halten die Studienautoren zwei Szenarien für plausibel. Einerseits könnte der Selektionsprozess im Tier stattgefunden haben, woraufhin das Virus auf den Menschen übergegangen ist. Diese Vermutung lag nahe, da die frühen Fälle von COVID-19 mit dem Huanan- Markt in Wuhan in Verbindung gebracht wurden. Aus zwei Tierspezies konnten Forscher SARS-ähnliche Coronaviren isolieren, die eine hohe genetische Übereinstimmung mit dem humanpathogenen SARS-CoV-2 aufweisen. Als wahrscheinlichstes Virusreservoir gilt die Fledermausart Rhinolophus affini. Diskutiert wird auch eine Übertragung durch das Malaiische Schuppentier (Manis javanica), dessen Fleisch in Asien als Delikatesse gilt. Dennoch weist keines dieser Coronavirus-Isolate eine ausreichend hohe Ähnlichkeit zu SARS-CoV-2 auf, um als dessen direkter Vorläufer in Betracht zu kommen. Eine umfassendere Beprobung möglicher Erregerreservoirs wäre deshalb sinnvoll.
Eine zweite Hypothese ist, dass der Selektionsprozess nicht im Tier, sondern nach der Übertragung im Menschen stattgefunden hat. Demnach wurde ein Vorläuferstamm von SARS-CoV-2 auf den Menschen übertragen, wo sich das Virus im Laufe mehrerer unentdeckter Infektionen genetisch anpasste und später eine Pandemie auslöste. Aufschluss über ein derartiges Szenario könnte die nachträgliche Analyse von Blutproben geben, die man in der Zeit vor Ausbruch der Pandemie genommen hatte.
 
Was die Vergangenheit lehrt
Aber warum ist die Herkunft des Erregers überhaupt relevant? Laut den Forschern aus zwei Gründen: Erstens erlauben Verwandtschaftsanalysen oft Vorhersagen zu bestimmten Eigenschaften eines Organismus, wie etwa Pathogenitätsfaktoren. Zweitens macht es für die Infektionsprävention einen enormen Unterschied, ob die Selektion im Tier oder direkt im Menschen stattgefunden hat. Wäre SARS-CoV-2 im Tier entstanden, bestünde trotz erfolgreicher Beseitigung des Erregers beim Menschen in den kommenden Jahren ein hohes Risiko für ein Wiederauftreten. RG
ICD-Codes: U07.1

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