Medikamente aus dem Internet

Praxis-Depesche 17/2000

Was Sie auch haben, das Web hat was dagegen

Vor den Zugang zu Medikamenten hat das deutsche Gesetz für den Verkehr von Arzneimitteln den Rezeptblock des Arztes oder zumindest die Beratungskompetenz des Apothekers gestellt. Für das Pharmaka-Shopping im Internet reicht dagegen eine Kreditkarte meist völlig aus - unerwartete Nebenwirkungen sowie Gesundheitsgefahren durch Fehlmedikationen sind vorprogrammiert.

Nach einer Umfrage des Bielefelder EMNID-Institutes macht bisher nur etwa 1% der Deutschen von der Möglichkeit Gebrauch, Medikamente aus dem Internet zu bestellen - vorstellen kann es sich aber schon jeder fünfte Deutsche. Die Vorteile für den Verbraucher liegen auf der Hand: Der nette Online-Apotheker ist rund um die Uhr erreichbar, stellt nicht zu viele Fragen und liefert auch noch frei Haus. Der Patient gerät damit in einen gefährlichen Zwiespalt: Nutzt er die diskreten und bequemen Einkaufsmöglichkeiten im Internet, gefährdet er womöglich auf Grund mangelhafter Beratung oder fehlender Aufklärung über Nebenwirkungen seine Gesundheit. Viele der über 100 internationalen virtuellen Apotheken verlangen kein Rezept oder lassen sich diesbezüglich leicht austricksen. Schon im Mai 1997 hat die WHO eine Resolution zum Thema "Bewerbung und Verkauf von pharmazeutischen Produkten im Internet" verabschiedet. Darin wurde mit Besorgnis vermerkt, dass der Bezug rezeptpflichtiger Medikamente durch Endverbraucher ohne Interventionen von Ärzten oder Apotheken über Grenzen hinweg möglich ist. Weder die EU als Gesamtheit noch einzelne Mitgliedstaaten haben bislang solche neuen Vertriebswege im Arzneimittelbereich ausreichend berücksichtigt. Nach momentaner Gesetzeslage ist es klar verboten, ein Arzneimittel im Internet anzubieten, das in der EU nicht zugelassen ist, und bei dem Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit nicht belegt sind. Zudem ist das Bewerben von rezeptpflichtigen Arzneimitteln in Europa nach der Richtlinie 92/28 EWG und in Deutschland nach dem Heilmittelwerbegesetz untersagt. Uneinheitlich ist aber bereits die EU-interne Einteilung in rezeptpflichtige und frei verkäufliche Medikamente: Schon jetzt können in Deutschland rezeptpflichtige Medikamente über das Internet oder über Teleshopping-Kanäle im europäischen Ausland problemlos rezeptfrei bestellt werden. Arzneimittelhändler aus den USA oder anderen Überseeländern schließlich können auf Grund fehlender oder deutlich liberalerer staatlicher Regelungen ihre Produkte weitgehend unbehindert grenzüberschreitend anbieten. Bevor der Kunde in einer Internet-Apotheke bestellen kann, wird meistens per Online-Formular ein Patientenprofil erstellt. Fragen nach Medikamentenallergien oder nach der physischen Verfassung beantwortet der Patient nach subjektiver Selbsteinschätzung, ein ärztliches Attest wird nicht verlangt. Ist das gewünschte Medikament rezeptpflichtig, so kann das Rezept meistens auf drei Arten weitergeleitet werden: schriftlich vom Patient, schriftlich vom Arzt oder auch telefonisch vom Arzt! Ob und wie festgestellt wird, ob die rezeptausstellende bzw. anrufende Person tatsächlich Arzt ist, muss in Frage gestellt werden. Wem das alles zu kompliziert ist, der findet aber meist auch Anbieter, die auf die Rezeptpflicht noch weniger oder gar keinen Wert legen: Wer beispielsweise bei der Suchmaschine Altavista eine Suche startet nach "+viagra +online +without prescription", bekommt deutlich über 3 500 Ergebnisse. Bei manchen Internet-Apotheken wie beispielsweise www.safewebmedical.com oder www.UKyes.com kann sich der Kunde im Anschluss an eine kostenpflichtige "Online-Consultation" auch direkt ein Rezept ausstellen lassen. Besonders Hormonpräparate und sogenannte Lifestyle-Medikamente wie Xenical®, Propecia®, Zyban® oder Viagra® werden im Internet bestellt. Während man in Deutschland noch das Heilmittelwerbegesetz zitiert, werben amerikanische Internet-Apotheken mit "Magical Medicines" und "Smart Drugs". Dahinter stecken Mittel, die Alterungsvorgänge verlangsamen sollen (z. B. Deprenyl), die eine Intelligenzbeschleunigung versprechen (z. B. Piracetam), die das Konzentrationsvermögen erhöhen (z. B. Phenytoin), das allgemeine Wahrnehmungsgefühl für Umwelteinflüsse oder Stressparameter verbessern (z. B. Piracetam) oder Denkleistungen fördern (z. B. Hydergin) sollen. Die angepriesenen Eigenschaften sind oft in keiner Weise wissenschaftlich begründet. Eine weitere Gefahr ist die fehlende Qualitätskontrolle der Internet-Apotheken. Bei Testbestellungen Anfang diesen Jahres durch den Bundesverband der pharmazeutischen Industrie stimmten oft Verpackung und Inhalt der bestellten Produkte nicht überein. Zudem war vielfach das Verfallsdatum der Medikamente bereits überschritten. Bei ähnlichen Tests in der Schweiz stellten die eidgenössischen Medikamentenwächter bei rund 80% der Präparate Mängel fest: So war mehr als der Hälfte der bestellten Pharmaka die Zulassung aus Sicherheitsgründen entzogen worden. Die erhaltenen Pillen waren zudem teils nur in einfache Plastiksäckchen verpackt oder lagen lose im Zustellkuvert. Beipackzettel fehlten entweder ganz oder waren in unverständlicher Form abgefasst. In einem Fall schickte ein holländisches Unternehmen einem französischsprachigen Empfänger einen auf Italienisch verfassten Beipackzettel. Aus juristischer Sicht ist es schwer oder sogar unmöglich, die Medikamentenhändler im Falle eines gesundheitlichen Schadens zur Verantwortung zu ziehen, da diese irgendwo in Übersee residieren. Vor dem gleichen Problem steht die Industrie. Nur wenige Pharmaunternehmen wie der Viagra®-Produzent Pfizer wagten bislang eine Klage gegen den unerlaubten virtuellen Handel ihrer Produkte. Die Industrie räumt selbst ein, dass nach Auslieferung an den Großhandel oft die Kontrolle über den weiteren Weg der Medikamente fehlt. Im Zuge der Globalisierung ist langfristig besonders für die Endverbraucher eine internationale juristische Lösung wünschenswert. Die USA bemühen sich schon seit längerer Zeit, den Internet-Handel von Medikamenten zu kontrollieren und zu überwachen. Die Food and Drug Administration (FDA) stellt jedes Jahr 10 Millionen $ für entsprechende Kontrollen der Online-Apotheken zur Verfügung. Die einzelnen amerikanischen Bundesstaaten vergeben Lizenzen für den virtuellen Medikamenten-Handel, seit 1999 können Anbieter pharmazeutischer Produkte zudem ihre Websites bei der National Association of Boards of Pharmacy (NABP) zertifizieren lassen (www.nabp.net/vipps/ pharmacy/ intro.asp). Verbraucher erkennen zertifizierte Pharma-Websites an einem mit "Verified Internet Pharmacy Practice Site (VIPPS)" betiteltem Logo. Bis zum Jahr 2004 rechnet man in den USA mit einem Umsatz durch den Online-Handel mit pharmazeutischen Produkten von 15 Milliarden $. Für die europäischen Apotheken-Verbände wie für die pharmazeutische Industrie stellt sich die Frage, ob man sich besser gegen den Vertriebsweg zum Endverbraucher via Internet stellt oder aber aktiv an der Entwicklung mitarbeiten soll. Der Vorschlag des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen, den Versandhandel von Arzneimitteln in Deutschland auch im Internet zuzulassen, wurde in der Vergangenheit noch vom Bundesverband der Pharmaindustrie (BPI) abgelehnt. Weil der Verbraucher aber im Internet keine Grenzen vorfindet, hat er ohnehin die Möglichkeit, beinahe an jedes erdenkliche pharmazeutische Produkt zu kommen. Beim BPI versucht man jetzt, die Beratungskompetenz des Apothekers mit den Möglichkeiten des Internets in eine kundenfreundliche Verbindung zu gießen. Angedacht sind Modelle, bei denen das Internet ausschließlich über Medikamente informiert und die Apotheke diese weiterhin ausliefert. Die britische Royal Pharmaceutical Society geht mit ihrem "Code of Ethics" einen ähnlichen Weg (www.rpsgb.org.uk/index.html). Auf europäischer Ebene bemüht sich eine vom ehemaligen EU-Kommissar Martin Bangemann berufene Kommission um eine Liberalisierung. Die EU kann sich der Zulassung des Arzneimittelvertriebes über das Internet auf Dauer nicht verschließen. Als erster Schritt könnte der Online-Handel mit bisher apothekenpflichtigen, aber rezeptfreien Produkten zugelassen werden. Der Bundesfachverband der Arzneimittelhersteller (BAH) hat im Juli als erster Verband der Arzneimittelindustrie Konsequenzen aus der aktuellen Diskussion gezogen. Auf einer eigenen Homepage will der BAH für seine 310 Partner-Unternehmen ein Forum einrichten, das Verbrauchern einfachen Zugang zu den Produktinformationen der Arzneimittelhersteller ermöglicht und sogar Informationen über die Selbstmedikation enthalten soll. Den Arzneimittelhandel über das Internet lehnt der Verband allerdings nach wie vor ab. Michael Sarbandi, MPH

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