Akutes Atemnotsyndrom

Praxis-Depesche 10/2018

Wer braucht extrakorporale Oxygenierung?

Die Berliner Klassifizierung des ARDS (acute respiratory distress syndrome) dient zur Definition des Schweregrads eines solchen Zustands; daran richten sich u. a. die Beatmungs- Modalitäten und sonstigen Maßnahmen aus. Es gibt allerdings Gründe, sie zu modifizieren.
Wie Experten aus Göttingen und Mailand rekapitulieren, bedeuten nach den Berlin-Kriterien P/F-Werte (Verhältnis arterieller O2-Partialdruck = PaO2 zu inspiratorischer O2-Fraktion = FiO2) zwischen 101 und 200 mmHg ein mäßig ausgeprägtes ARDS. Dieses Intervall schließt Shuntfraktionen (intrapulmonaler Rechts-Links-Shunt) von 20 bis 60% ein und enthält die meisten ARDS-Patienten.
Die meisten Kriterien für die Entscheidung, ob eine extrakorporale Membran-Oxygenierung (ECMO) zur Anwendung kommen soll, stützen sich auf ein ausgeprägtes Oxygenierungs- Defizit (P/F < 100, schweres ARDS). In der klinischen Praxis erhalten manche Patienten Behandlung, andere nicht, trotz ähnlicher Oxygenierungs-Defizite. Die Gründe sind unklar.
Die Autoren postulierten, dass man die Indikationen für die verschiedenen Therapiemaßnahmen präzisieren könnte, wenn man zwischen „leichtem bis mittelgradigem“ und „mittelgradigem bis schwerem“ ARDS unterscheiden würde.
Ihre Studie wurde mit 227 Patienten begonnen, die in Kliniken in Mailand, Göttingen und Chile behandelt worden waren. Für die jetzige Publikation, eine retrospektive Analyse, wurden aber nur die Daten der deutschen und italienischen Teilnehmer herangezogen.
Man wollte wissen, ob ein Grenzwert von 150 mmHg innerhalb des Kollektivs mit P/F-Werten von 100 bis 200 mmHg zwei einigermaßen homogene Patientengruppen ergibt und welche Kriterien die behandelnden Ärzte zugrunde legten, wenn sie bei schwerem ARDS eine ECMO anwandten. Dazu unterteilte man die Patienten in solche unterhalb und oberhalb von 150 mmHg P/F (definitionsgemäß weniger schwere und schwerere Fälle). Bei den schwereren unterschied man weiter zwischen solchen über bzw. unter einer Grenze von 80% FiO2.
Bei schwererem ARDS waren die Spitzendruckwerte, das PaCO2 und der pH-Wert besonders hoch. Die Lungen waren schwerer, wiesen eine stärkere Inhomogenität und mehr unbelüftete Areale sowie eine größere Rekrutierbarkeit von Alveolarfläche auf.
Von den schwereren Fällen gehörten 75% zur Subgruppe mit höherem FiO2. Sie unterschieden sich von denen mit niedrigerem FiO2 nur hinsichtlich PaCO2 und Lungengewicht. 41 von 46 Patienten, die ECMO erhielten, gehörten zur Gruppe mit höherem FiO2. Innerhalb dieser Gruppe hatten die ECMO-Patienten höhere PaCO2-Werte als die ohne ECMO; bei ihnen waren auch das Inhomogenitäts-Verhältnis, das Lungengesamtgewicht und der Anteil nicht belüfteten Gewebes höher.
Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass man mit der P/F-Grenze von 150 mmHg (bei 5 cmH2O PEEP) zwei Subgruppen von ARDS-Patienten differenzieren kann, die sich in pathophysiologischen Variablen signifikant unterscheiden. Sie registrierten allerdings auch, dass die mechanische Beatmung mit höherem Schweregrad des ARDS potenziell riskanter wird. Bei schwerkranken Patienten unter ECMO nimmt mit steigendem Atemwegsdruck die Inhomogenität der Lungen zu. WE
Quelle: Maiolo G et al.: Reclassifying acute respiratory distress syndrome. Am J Respir Crit Care Med 2018; 197: 1586-95
ICD-Codes: J80

Alle im Rahmen dieses Internet-Angebots veröffentlichten Artikel sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch Übersetzungen und Zweitveröffentlichungen, vorbehalten. Jegliche Vervielfältigung, Verlinkung oder Weiterverbreitung in jedem Medium als Ganzes oder in Teilen bedarf der schriftlichen Zustimmung des Verlags.

x