Von Diabetologen bis Neurologen: zahlreiche Fachrichtungen betroffen

Praxis-Depesche 3/2017

Wie Passivrauchen Patienten gefährdet

Was haben die Fachrichtungen Gastroenterologie, Diabetologie, Chirurgie, Gynäkologie, Neurologie, Ophthalmologie und Anästhesiologie gemein? In allen diesen Bereichen gibt es im noch gar nicht so alten Jahr 2017 neue Daten zu den Auswirkungen des Passivrauchens. Teils am Menschen, teils in Tierversuchen konnten Forscher zeigen, wie Passivrauch („environmental smoke“, „second hand smoke“ oder „side stream cigarette smoke“) die Gesundheit negativ beeinflusst. Aber einige der Studien fanden auch kontroverse Ergebnisse bzw. basierten lediglich auf dünnen Daten.

HbA1c von Passivrauch beeinflusst
 
Im Bereich der Diabetologie förderte eine Studie besonders praxisrelevante Ergebnisse zutage. Sie extrahierte aus Umfragedaten der Jahre 2007 bis 2014 Angaben zur Passivrauch- Exposition von Diabetikern und analysierte, inwiefern der Qualm die glykämische Kontrolle der Patienten beeinflusste.
1168 Männer und 1248 Frauen wurden ausgewertet, und es wurde erfasst, wie ausgeprägt sie Passivrauch am Arbeitsplatz oder zu Hause ausgesetzt waren. Die Forscher fanden dabei für Männer eine signifikante Assoziation zwischen Passivrauchen zu Hause und dem HbA1c als Maß für die glykämische Kontrolle. Für Frauen fand man eine vergleichbare signifikante Verschlechterung des HbA1c sowohl bei häuslicher als auch Arbeitsplatz-Exposition. In einer Subgruppenanalyse fand man generell eine negative Assoziation des Diabetesmanagements mit Passivrauchen. Es lohnt sich also besonders bei Diabetikern, auf eine rauchfreie Umgebung hinzuwirken.
 
a-Liponsäure schützt, möglicherweise
 
Zwei für Gastroenterologen interessante Studien zum Thema Passivrauchen fanden zum Teil positive Ergebnisse. Ein Resultat war, dass a-Liponsäure möglicherweise einen protektiven Effekt bei passivrauchenden Colitis- ulcerosa-Individuen hat. Zudem zeigte sich körperliche Aktivität als vor den negativen Effekten des Qualms schützend – allerdings beides bisher nur im Tiermodell nachgewiesen.
Bei 54 männlichen Ratten wurde eine Colitis induziert, wobei die eine Hälfte der Tiere Passivrauch ausgesetzt wurde und die andere Hälfte nicht. Diese beiden Gruppen unterteilte man wiederum in Tiere, die antioxidativ wirkende a-Liponsäure erhielten oder nicht, und ließ zusätzlich einen Teil der Ratten „Sport“ treiben. Post mortem analysierte man jeweils das Kolon der Tiere makro- und mikroskopisch sowie laborchemisch. Man sah, dass erwartungsgemäß der Passivrauch und die chemische Colitis-Induktion die Entzündungsreaktion im Kolon erhöht hatte. Sowohl die a-Liponsäure als auch die körperliche Aktivität erwies sich dabei allerdings als protektiv gegen die Qualm-verursachte Colitis.
An Mäusen stellte eine andere Arbeitsgruppe fest, dass Passivrauch keinen Einfluss auf die NASH-Entwicklung in frühen Phasen hatte (NASH = nicht-alkoholische Fettleber). Das Ergebnis ist dahingehend überraschend, als man weiß, dass aktives Rauchen sehr wohl eine Leberzirrhose fördern kann, sowohl alkoholischer als auch infektiöser (HBV, HCV) Genese.
 
Schlechtere Knochenheilung, mehr Narkoseprobleme
 
Wiederum an Ratten untersuchten orthopädisch/ unfallchirurgische Ärzte aus Brasilien, wie eine bei Ratten induzierte diaphysale Fraktur, die mit einer Draht-Osteosynthese versorgt wurde, mit und ohne Passivrauch-Exposition heilte. Die Nikotin-Dosis, die den Ratten per Rauchmaschine inhalativ appliziert wurde, passte man dabei an für den Menschen typische Passivrauchwerte an. Man fand, dass bei den Tieren mit Qualmexposition die Kallusbildung verzögert und die Dichte im neu gebildeten Knochen reduziert war. Der Kallus war mechanisch weniger stabil. Besonders groß war der Effekt, wenn die Tiere vor und nach dem Frakturereignis passiv rauchten.
Weg vom Tierversuch, hin zum Menschen. Rauchen und Passivrauchen verschlechtert das anästhesiologische Outcome, das ist aus früheren Studien bekannt. Kaum etwas wusste man bislang aber darüber, ob Kinder mit Passivrauch-Exposition häufiger von Narkosekomplikationen betroffen sind. Eine große Metaanalyse schaffte hier nun Klarheit. Die Autoren fanden 29 relevante Studien zu dieser Fragestellung. Insgesamt ergab sich für sie eine ausreichende Evidenz, dass Passivrauch bei Kindern das Risiko von perioperativen anästhesiologischen pulmonalen Problemen erhöht, und zwar in etwa um den Faktor 2,5. Konkret fand man häufiger Laryngospasmus, Atemfrequenzbeeinträchtigung, Bronchospasmus, Hypersekretion und Obstruktion. Insbesondere die Laryngospasmen setzten die Kinder einem erhöhten anästhesiologischen Risiko aus. Es liegt nahe, ist aber durch diese Arbeit nicht bewiesen, dass die präoperative Vermeidung von Passivrauchen diese Risiken senken kann.
 
Mehr Mammakarzinome
 
Im Bereich der Gynäkologie machten in 2017 bislang zwei Untersuchungen von sich reden. In einer Fallkontrollstudie mit 585 „Fällen“ (Frauen mit Brustkrebs) und 1170 „Kontrollen“ verglich man, inwieweit Passivrauchen das Mammakarzinomrisiko erhöhte, und zwar in Abhängigkeit vom Hormonrezeptorstatus und der Menopause. Passivrauchen am Arbeitsplatz erhöhte das Brustkrebsrisiko um 1%. Waren Frauen von häuslichem Passivqualm betroffen, stieg das Risiko um 88%. Je länger die Exposition andauerte, desto höher fiel das Karzinomrisiko aus (bei mehr als 20 Jahren Passivrauchexposition: +180%).
Der Hormonrezeptorstatus der Mammakarzinome war dabei unwesentlich, während die schädlichen Effekte bei postmenopausalen Frauen besonders ausgeprägt schienen.
 
Negative Ergebnisse
 
Zwei aktuelle Rauch-Studien fanden nicht das hypothetisierte Ergebnis. Eine untersuchte die ophthalmologische Frage nach dem Glaukom-Risiko beim Rauchen. Es zeigte sich, dass aktives Rauchen die Glaukomentstehung zwar begünstigte (Risikoerhöhung um 88% im Vergleich zu Nicht- und Nie-Rauchern). Zudem sah man eine Dosisabhängigkeit des Effektes. Für Passivrauchen allerdings konnte man kein erhöhtes Glaukom-Risiko feststellen.
Die andere, neurologische Arbeit analysierte das Apoplex-Risiko bei Passivrauchern und fand eine Risikoerhöhung durch Passivrauchen um 23%. Allerdings stellte sich auch heraus, dass die eingeschlossenen 28 Studien methodologisch signifikant inhomogen und nicht frei von Beeinflussungen waren. Eine eindeutige Evidenz für den Zusammenhang zwischen Passivrauch und Schlaganfall wollten die Autoren daher nicht attestieren – zumal die hämorrhagischen Apoplexe in dieser Untersuchung ebenfalls keine Risikoerhöhung durch Passivrauchen erfuhren.
 
Conclusio
 
Viele der Studien am Menschen wiesen das Problem auf, dass die Evaluierung des Passivrauchens nur retrospektiv mittels Befragung ermittelt wurde. Dennoch, dass auch Passivrauchen (neben den bekannten und vermuteten negativen Effekten des aktiven Rauchens) die Gesundheit ungünstig beeinflussen kann, scheint sicher – unabhängig davon, inwieweit man Tierversuchsergebnisse auf Menschen übertragen möchte oder kann. Es lohnt sich in der Praxis gewiss, seine Patienten zum Passivrauchen zu befragen und auf die damit verbundenen Risiken hinzuweisen. CB

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