Schattenseiten der neuronalen Plastizität

Praxis-Depesche 7/2011

Zentrale Sensibilisierung dürfte bei Schmerz oft mitspielen

Was man heute über die Entstehung und Folgen dieses Phänomens weiß, fasst der Direktor des F. M. Kirby Neurobiology Center am Children’s Hospital in Boston zusammen. Dort wird unter anderem auch nach neuen Zielstrukturen für Analgetika gesucht. Der Autor lehrt Neurobiologie an der Harvard Medical School.

Dass bei Schmerz – in diesem Fall Angina pectoris – eine zentrale Verstärkung stattfinden kann, wurde bereits 1883 postuliert. W. A. Sturge stellte sich damals vor, dass eine zerebrale „Aufregung“, die „von unten“ heraufgereicht wird, zu den klinischen Charakteristika ischämischer Herzschmerzen beiträgt. Der Verfasser dieser Übersicht zeigte 100 Jahre später, dass eine durch periphere Gewebeverletzung induzierte afferente Aktivität einen langanhaltenden Anstieg der Erregbarkeit von Rü-ckenmarksneuronen auslöste. Dadurch kam es zu einer Erniedrigung der Erregungsschwelle (mit Allodynie), einer Zunahme der Ansprechbarkeit auf noxische Stimulation mit verlängerten Nachwirkungen (mit Hyperalgesie) und einer Ausweitung des rezeptiven Feldes. Durch letztere kann auch Input von nicht verletztem Gewebe Schmerz auslösen (sekundäre Hyperalgesie). Die genannten Phänomene wie auch die verstärkte zeitliche Summierung von Schmerzreizen sind Elemente der zentralen Sensibilisierung.

Bevor diese entdeckt wurde, glaubte man, dass die Information aus der Peripherie weitgehend unverändert wie in einem Telefondraht an den Kortex geschickt wird. 1965 wurde klar, dass die Weiterleitung im Rü-ckenmark durch inhibitorische Kontrollmechanismen moduliert werden kann (Gate-Control-The­orie). Lange Zeit war dann Inhibition besonders interessant, u. a. weil Enkephaline, Endorphine und TENS entdeckt wurden. Nach Auffindung der Nozizeptoren kam es allerdings in den 70er Jahren auch zur Erstbeschreibung der peripheren Sensibilisierung. Bei Nozizeptoren kann es nämlich zur Absenkung der Erregbarkeitsschwelle, v. a. für Hitzereize, kommen, wenn sie an der Stelle der Verletzung Entzündungsmodulatoren ausgesetzt sind.

Stimulus weg, Schmerz bleibt

Bei der zentralen Sensibilisierung dagegen hält die „Bahnung“ nach Ende des primären Stimulus einige Zeit lang an bzw. braucht zur Aufrechterhaltung nur eine geringe Menge an Nozizeptor-Input. So muss empfundener Schmerz nicht notwendigerweise das Vorhandensein eines peripheren noxischen Stimulus widerspiegeln. Solche Vorstellungen wurden initial nicht sehr gut aufgenommen, vor allem von Ärzten, die glaubten, dass Schmerz bei fehlender Pathologie nur auf Rentenbegehren, Opioidsucht oder psy­chischen Störungen beruht.

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