Stuhlprobe

Praxis-Depesche 4/2015

Ergonomische Sitze können schaden

Ergonomische Stühle sollen helfen, Rückenschmerzen und Haltungsschäden vorzubeugen. Aber bringt das wirklich etwas?

Beim Sitzen nach westlichem Standard sind Kopf und Rumpf aufrecht, Hüfte und Knie rechtwinklig gebeugt und beide Füße fest auf dem Boden. Dadurch verringert sich die Lumballordose und die Bandscheiben werden belastet. Um den Hüft-Rumpf-Winkel zu öffnen, sind ergonomische Stühle deshalb vorwärts geneigt. Um den resultierenden Effekt auf Haltung und Muskulatur zu untersuchen, ließ man zwölf gesunde junge Männer auf einem Stuhl mit oder ohne 15° Neigung Platz nehmen. Auf jeder dieser Sitzmöglichkeiten sollten die Teilnehmer in zufälliger Reihenfolge fünf Minuten lang mit beiden Unterarmen auf einem Tisch ein Buch lesen.
Mit steigender Sitzhöhe verringerte sich die Beugung der Hüfte und nahm die Neigung des Kopfes zu. Auf den ergonomischen Stühlen saß man jedoch nicht aufrechter als auf den flachen. Zwar wurde der M. rectus abdominis stärker aktiviert, doch die für eine gerade Haltung relevante Nacken-, Schulter- und Thorakalmuskulatur blieb unbeeinflusst. Gleichzeitig sorgte der ergonomische Sitz für eine bis zu 2,5-fach erhöhte Aktivität des M. soleus, M. vastus lateralis und medialis. Das Anspannen der unteren Gliedmaßen ist nötig, um trotz des nach vorn verlagerten Körperschwerpunkts nicht vom Stuhl zu rutschen. Auf Dauer könnte das die Muskeln ermüden und das Kniegelenk belasten.
Auch gleichten die Teilnehmer die Neigung ganz unterschiedlich aus: Manche kippten das Becken nach vorn, andere hingegen nach hinten. Eine aufrechte Sitzhaltung wird nicht nur durch den Stuhl bestimmt, sondern hängt auch maßgeblich von der individuellen Körperwahrnehmung ab. Um mögliche Knieschäden zu vermeiden, raten die Autoren von ergonomischen Stühlen eher ab. OH
Quelle:

Hamaoui A et al.: Sitting on a sloping seat does not reduce the strain sustained by the postural chain. PLoS One 2015; 10(1): e0116353

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