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Praxis-Depesche 12/2015

Die Evidenz der evidenzbasierten Medizin

Die evidenzbasierte Medizin (EBM) ist seit Jahren als ein tragendes Prinzip tagtäglicher ärztlicher Tätigkeit anerkannt. Aber gibt es überhaupt evidenzbasierte Erkenntnisse, dass eine evidenzbasierte Behandlung für Patienten von Vorteil ist? Der Frage gingen Autoren aus Spanien nach, die die einmalige Chance eines „natürlichen“ Experimentes ausnutzten.

Studien mit statistisch signifikanten Aussagen bilden die Grundlage der EBM und der daraus abgeleiteten Leitlinien. Es gibt aber Untersuchungen, dass sich in der tagtäglichen Praxis zwei Drittel der Ärzte gar nicht an Leitlinien halten. Es scheint also nicht so zu sein, dass Behandler die jeweils neuen, aktuellen und effektiven Therapieformen in praxi umsetzen. Aber haben Ärzte, die sich an die neuesten Erkenntnisse der EBM halten, überhaupt bessere Behandlungsergebnisse?
 
In einem baskischen Krankenhaus beschlossen zwei Oberärzte der Inneren Medizin im Jahre 2003, die Methoden der EBM ab sofort konsequent anzuwenden. Ihre gesamte Mannschaft holten sie mit an Bord. Es entstand eine 22-Betten-EBM-Abteilung, auf der ausschließlich in EBM ausgebildete Ärzte und Pflegepersonal arbeiteten. Auf der Station installierte man einen Computer mit Zugang zu den einschlägigen Medizin- Datenbanken. Zudem institutionalisierte man wöchentliche Meetings (auch interdisziplinäre), bei denen unklare Patientenfälle diskutiert wurden (PICO-Diskussionen: population/patient, intervention, comparator, outcomes). Ebenfalls wöchentlich fand ein Journal club statt, während dessen die PICO-Fragen anhand von aktueller Literatur beantwortet wurden.
Andere Innere Abteilungen schlossen sich dem EBM-Konzept nicht an und therapierten weiter nach deren Standards. Das Patientenklientel blieb unverändert und zeigte keine Unterschiede zwischen der EBM- und der Standard- Abteilung. Durch dieses „natürlich“ entstandene Versuchssetting war man in der Lage zu untersuchen, ob die Veränderung einen Effekt auf das Outcome der Patienten hatte oder nicht.
 
Die EBM-basierten Behandlungen führten zu einer statistisch und klinisch signifikanten Reduzierung der Mortalität auf der EBM-Station (von 7,41 auf 6,27%, p<0,02). Die durchschnittliche Verweildauer sank von 9,15 auf 6,01 Tage (p=0,002). Auch in der Standard-Abteilung fiel die Mortalität ein bisschen, allerdings nicht signifikant. Auch der Vergleich zwischen den beiden Abteilungen fiel signifikant zugunsten der EBM aus: Sterblichkeit 6,27 vs. 7,75%, p< 0,001; Verweildauer 6,01 vs. 8,46 Tage, p< 0,001. Der „Netto-Nutzen“ lag bei 219 durch EBM geretteten Leben.
 
Am Ende kann man nicht definitiv sagen, welche der zahlreichen Maßnahmen zu den Unterschieden bei Mortalität und Verweildauer führten. Das Klinikmanagement entschloss sich jedenfalls, als eine Erweiterung anstand, die neu zu schaffenden Betten vorzugsweise in der EBM-Abteilung anzusiedeln. CB
Quelle:

Emparanza JI et al.: Does evidence-based practice improve patient outcomes? An analysis of a natural experiment in a Spanish hospital. J Eval Clin Pract 2015; epub Oct 29; doi: 10.1111/jep.1246

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