Kasuistik

Praxis-Depesche 9-10/2020

Kein Bandwurm, sondern ovarieller Tumor

Nicht immer lässt sich eine zystische Echinokokkose mit bildgebenden Verfahren sicher diagnostizieren. Das belegt der Fall einer chinesischen Patientin, bei der sich die mutmaßliche Zoonose intraoperativ als muzinöses ovarielles Zystadenom entpuppte.
Gastroenterologen aus Leipzig beschrieben den Fall einer 29-jährigen Studentin aus China, die aufgrund von abdominalem Druckgefühl, Appetitverlust und zunehmendem Bauchumfang ärztlichen Rat suchte. Das Blutbild war weitgehend unauffällig, Entzündungsparameter und Tumormarker lagen im Normbereich. Ein abdominaler Ultraschall offenbarte eine riesige polyzystische Masse, die fast das gesamte Abdomen ausfüllte.
Aufgrund der typischen Binnenstruktur der Zysten und der Herkunft der Patientin aus einem Echinokokkose-Endemiegebiet ging man von einer aktiven Infektion mit dem Hundebandwurm Echinococcus granulosus mit primär extrahepatischer Manifestation aus. Ein spezifischer ELISATest blieb negativ, was wegen der bekannt hohen Falsch-Negativ-Rate von etwa 20 % aber nicht als Ausschlusskriterium gewertet wurde. Die Patientin erhielt vor der anberaumten chirurgischen Intervention eine antihelminthische Therapie mit Albendazol (2x400 mg/Tag), um eine Ausbreitung der Hydatiden auf andere Organe zu vermeiden. Weitere transabdominale und transvaginale gynäkologische Sonographien sowie ein MRT brachten keine zusätzlichen Erkenntnisse.
Erst bei der Laparotomie zeigte sich, dass die zystische Masse vom rechten Ovar ausging. Der entfernte Tumor stellte sich als über sechs Kilogramm schweres muzinönes Zystadenom heraus. Zusammen mit der Tumorektomie erfolgte eine rechtsseitige Adnexektomie. Das linke Ovar zeigte keine Auffälligkeiten und wurde aufgrund der nicht abgeschlossenen Familienplanung der Patientin in situ belassen. Die Albendazol-Therapie wurde abgesetzt, bei einer postoperativen gynäkologischen Untersuchung ergaben sich keine pathologischen Befunde.
Muzinöse ovarielle Zystadenome zählen zu den häufigsten Neoplasien des Ovars und sind in 80 % der Fälle benigne. Sie können enorme Größen erreichen; aus dem frühen 20. Jahrhundert ist ein Fall mit einer Tumormasse von fast 150 Kilogramm dokumentiert.
Wie der Fall der chinesischen Patientin zeigt, sind sie in der Bildgebung nicht immer sicher von einer zystischen Echinokokkose zu unterscheiden. Diese kommt in unseren Breiten zwar selten vor – im westlichen China beispielsweise beträgt die Prävalenz aber bis zu 6,8 %. Typischerweise manifestiert sich die Erkrankung in der Leber, eine primäre peritoneale Lokalisation findet sich nur in etwa 2 % der Fälle. In unklaren Fällen sollte zur Differenzialdiagnose eine Biopsie erfolgen. CW
Quelle: Boehlig A et al.: A young woman from an Echinococcus-endemic area with progressive abdominal distension: a case report. J Med Case Rep 2020; 14(1): 65

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