Schwierige Diagnose

Praxis-Depesche 20/2005

Myasthenia gravis - oder nicht?

Wird eine Myasthenie verzögert erkannt, können sich permanente Verschlechterung sowie Komplikationen ergeben. Was erleichtert die Diagnose?

Nach Studien zu anamnestischen Hinweisen und einfachen Tests suchten britische Neurologen und fanden 15, die ihre Einschlusskriterien erfüllten. Die Wahrscheinlichkeit einer Myasthenia gravis steigt demnach stark, wenn angegeben wird, dass die Sprache bei längerem Reden unverständlich wird und wenn unvollständiger Lidschluss vorkommt (likelihood ratio LR 4,5 bzw. 30,0). Fehlen dieser Zeichen reduziert die Wahrscheinlichkeit nicht signifikant. In den Studien wurden als anamnestische Hinweise sonst nur das Zurückbleiben von Essensresten im Mund nach dem Schlucken und sakkadenartiges Augenzittern ausgewertet. Beide veränderten die Wahrscheinlichkeit nicht signifikant. Generell gilt, dass weniger als ein Viertel der Patienten mit Sprach- oder Schluckstörungen in die Praxis kommen. Charakteristisch für Myasthenie ist eine rasch fluktuierende asymmetrische und evtl. die Seite wechselnde Ptosis. Beim Eistest liegt ein mit zerstoßenem Eis gefüllter Finger eines Latexhandschuhs für zwei Minuten auf dem stärker ptotischen Lid, beim "Ruhetest" hält der Patient bei geschlossenen Augen als Plazebo einen mit Watte gefüllten Handschuh darauf, beim "Schlaftest" ruht er 30 min mit geschlossenen Augen im Dunkeln. Positiv gewertet wird jeweils eine Zunahme der Lidspalte um mindestens 2 mm. Eis- und Schlaftest erhöhen bzw. senken die Myasthenie-Wahrscheinlichkeit je nach Befund (LR 24 und 0,16 bzw. 53 und 0,01); negativer Ruhetest senkt die LR. Positive Reaktionen auf die Gabe von Cholinesterase-Hemmern (vor allem Edrophonium) steigern die Wahrscheinlichkeit einer Myasthenia gravis (LR insgesamt 15), fehlende Reaktionen reduzieren sie (LR 0,11). All diese Befunde müssen wegen dem hohen Anteil Erkrankter in den Studien vorsichtig interpretiert werden. Der Nachweis von Acetylcholin-Rezeptor-Antikörpern ist der spezifischste Test. Er besitzt bei generalisierter Myasthenie eine Sensitivität von 80 bis 96%, bei der rein okulären Form sind bis zu 50% der Patienten seronegativ. Die Einzelfaser-Elektromyographie beim Spezialisten weist mit sehr hoher Sensitivität unspezifisch auf eine Erkrankung der neuromuskulären Endplatte hin. (UB)

Quelle: Scherer, K: Does this patient have myasthenia gravis?, Zeitschrift: JAMA : THE JOURNAL OF THE AMERICAN MEDICAL ASSOCIATION, Ausgabe 293 (2005), Seiten: 1906-1914

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