Junge Frau sieht sorgenvoll auf das Ergebnis Ihres Blutzuckertests

Praxistipp

Praxis-Depesche 7-8/2022

Plötzlich Diabetes

Insbesondere schwierig kann sich eine Diagnose einer Typ-1-Diabetes (T1D) für Betroffene im Jugend- und jungen Erwachsenenalter gestalten, da das Management von T1D oftmals dem Verlangen junger Menschen nach einem „normalen Lebensalltag“ im Wege steht. Einige Tipps, wie man diesen jungen Menschen auch von psychologischer Seite aus im Umgang mit der Diagnose helfen kann, wurden nun in einem Artikel zusammengefasst, in dem auch ein Patient als Mitautor involviert war.

Plötzlich mit der Diagnose Typ-1-Diabetes (T1D) konfrontiert zu werden, stellt in jedem Lebensalter eine Herausforderung dar. Doch insbesondere für junge Menschen, die gerade voll durchstarten wollen ins Leben, ist es eine immense Herausforderung nun auch noch den Umgang mit T1D in ihrem Lebensalltag mit unterzubringen. Auf einmal mit einer eigenen langfristigen Erkrankung konfrontiert zu sein, kann zu einem Gefühl der Isolation, Frustration aber auch Verlegenheit und Verzweiflung führen. Viele junge Menschen meinen ihre Ambitionen, Ziele und ihren Lebensstil aufgrund der Erkrankung nunmehr aufgeben zu müssen. Nicht ausreichend unterstützt oder auch schon der Eindruck von Hilflosigkeit in einer solchen Lebensphase kann dazu führen, dass das T1D-Management vernachlässigt wird. 
    
Warnzeichen für Probleme von Patient:innen mit T1D
Viele der jungen Patienten erleben eine Phase des Burnouts im Management der T1D. Sie verfolgen Vermeidungsstrategien, wie Arzttermine ausfallen zu lassen, nicht mehr regelmäßig den Glukosespiegel zu kontrollieren, das T1D-Management zu vernachlässigen, mögliche Komplikationen zu ignorieren.
Studiendaten belegen, dass Personen mit langfristigen Erkrankungen zwei bis dreimal häufiger mit mentalen Problemen in Erscheinung treten als die Allgemeinbevölkerung. Sollten bei jungen Menschen vermehrt Angstgefühle, gedrückte Stimmung, Desinteresse an der eigenen Erkrankung oder am sozialen Leben zu beobachten sein, empfiehlt es sich, validierte psychologische Screeningmethoden in Betracht zu ziehen, um eine rechtzeitige Überweisung zu einer passenden psychologischen Behandlung sicherstellen zu können.
Auch Essstörungen treten zweimal häufiger bei jungen Menschen mit Diabetes auf als bei gesunden Gleichaltrigen. Bei einer Diabulimia, einer Essstörung bei Patienten mit T1D, nehmen die Patienten bewusst weniger Insulin oder auch gar kein Insulin mehr, um Körpergewicht zu reduzieren. Indikatoren für Essstörungen sind Gewichtsverlust, das Vermeiden der Gewichtskontrolle, Insulin nicht mehr nehmen zu wollen, die Kohlenhydrataufnahme und auch den Blutzuckerspiegel nicht mehr regelmäßig zu monitoren. In einer longitudinalen Studie über zehn Jahre wurde bei 42 % der 92 Jugendlichen mindestens eine Episode mentaler Probleme, wie Depressionen, Angst, zwanghaftes und/oder Vermeidungsverhalten beobachtet. So wird in einer Studie des britischen Klinikaerzteverbandes für Kinder mit Diabetes empfohlen, dass eine Diabetesschulung- und Betreuung auch die mentale Gesundheit mit einbezieht, mit regelmäßigen Einschätzungen und eventuellen zeitnahen Überweisungsmöglichkeiten zu entsprechenden Behandlungen. Dabei sollten auch die Angehörigen nicht außer Acht gelassen und Eltern unterstützt werden beim Management der Erkrankung.
 
Wie können Ärzte helfen
Die behandelnden Ärzte sollten die mentale Gesundheit ihrer Patienten im Auge behalten z.B. in Form von jährlichen Screenings. Vor allem in Zeiten, in denen die jungen Menschen mehr mentale Unterstützung brauchen, wie z.B. bei Änderungen im Bildungsumfeld, beim Beginn eines Studiums oder dem Übergang ins Berufsleben aber auch beim Übergang von der kinderärztlichen Betreuung in die ärztliche Erwachsenenbetreuung, sollte verstärkt auf Veränderungen geachtet werden.
Mögliche Screeningtools wären der Diabetes Distress Scale für Typ-1-Diabetes (T1-DDS), der Fragebogen zu Problembereichen der Diabetesbehandlung (PAID 20), der Gesundheitsfragebogen für Patienten (PHQ-4) oder der Pediatric Quality of Life InventoryTM (PedsQLTM). Im Fall von Empfehlungen zu einer Weiterbehandlung der Patienten sollte sichergestellt sein, dass diese auch wissen, an wen direkt sie sich wenden können und wo Möglichkeiten einer passenden zeitnahen Behandlung bestehen. Hilfreich erwiesen sich hierbei lösungsorientierte Therapieansätze, Vermittlung von Bewältigungskompetenzen, kognitive Verhaltenstherapie oder auch problemorientierte Familientherapien.
In der ärztlichen Praxis mit jungen Menschen mit T1D könnte es zudem helfen, spezifische und messbare Ziele zusammen mit dem Patienten zum Management der Erkrankung zu erarbeiten und diese auch in kleineren Schritten versuchen zu erreichen. Ermutigt werden sollten die Patienten auch zu Kontakten mit Diabetikerverbänden und Selbsthilfegruppen aber auch zu Vereinen, in denen sie ihren Hobbies nachgehen können. GH
Quelle:

NG SM et al.: Managing the psychosocial impact of type 1 diabetes in young people.
BMJ. 2022;377:e070530; doi: 10.1136/bmj-2022-070530

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