Phantomschmerz

Praxis-Depesche 11/2019

Therapieoptionen verzweifelt gesucht

Zu den problematischsten Schmerzformen gehört der Phantomschmerz, ein Phänomen, das bei amputierten Patienten recht häufig ist. Seit 50 Jahren wird nach wirksamen Behandlungsmöglichkeiten gesucht. Derzeit gibt es mehr als 25 Optionen, aber keine erfüllt die Erwartungen. Fortschritte erhofft man sich von einem besseren Verständnis der Pathomechanismen dieser Schmerzart.
Die Mehrzahl der Patienten mit einer Extremitäten- Amputation erlebt irgendwann Phantomschmerzen. Die Lebenszeit-Prävalenz wird auf 50 bis 80 % geschätzt. Es handelt sich um eine Form von neuropathischem Schmerz, der vom Patienten in dem fehlenden Gliedmaßenteil lokalisiert wird und mit verschiedenen Qualitäten beschrieben wird, wie pochend, stechend oder brennend.
Das Phänomen tritt meist in der ersten Woche nach der Amputation auf und nimmt dann meist langsam an Schwere und Häufigkeit ab. Es gibt vielfältige Begleiterscheinungen wie etwa Depression, Beeinträchtigung des Alltags und verminderte Lebensqualität.
 
Multiple Pathomechanismen
Die Tatsache, dass alle Ansätze zur Linderung der Beschwerden nur unzureichend wirken, spricht für multiple Pathomechanismen. Diesen und daraus abgeleiteten Therapieversuchen sind zwei Experten aus Toronto anhand der einschlägigen Publikationen nachgegangen.
Die vermuteten Ursachen des Phantomschmerzes werden hinsichtlich ihrer Lokalisation im Nervensystem in periphere und zentrale unterteilt.
Zu den peripheren Mechanismen gehören Aktivierung von Neuromen (Auftreibungen von Nervenstümpfen), Katecholamine entzündliche Faktoren und andere pro-nozizeptive Transmitter. Hier setzt die targeted muscle reinnervation (TMR) an: Man verbindet mikrochirurgisch unterbrochene motorische Nerven mit intakten Nerven; nach Zusammenwachsen wird der zugehörige Muskel dual innerviert. Die erhoffte Linderung starker Phantomschmerzen ließ sich aber in klinischen Studien nicht erzielen. Zu den zentralen Pathomechanismen zählt eine maladaptive kortikale Reorganisation. Man spekuliert, dass Hirnareale, die den verlorenen Körperteil repräsentierten, von anderen Zonen des somatosensorischen und motorischen Kortex belegt werden. Bei einer gedachten Bewegung des Amputats wurden Aktivitäten nicht nur im zugehörigen Areal, sondern auch in der Nachbarschaft nachgewiesen. Man postulierte, dass repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) das pathogene Remapping von Nervenimpulsen verhindert. Die Ergebnisse entsprechender Studien waren aber nicht befriedigend.
Imaginäre Bewegungen des amputierten Extremitäten-Teils sollen fehlgeleitete kortikale Bahnungen reorganisieren. Solche Übungen, zusammen mit progressiver Muskelrelaxation und mental imagery, wurden mit Bewegungen der Rest-Extremität verglichen. Man berichtete über positive Wirkungen, aber die Studie hat erhebliche Schwächen.
Als wenig erfolgversprechend haben sich etliche weitere Ansätze trotz überzeugender Hypothesen zu ihrer Wirkung erwiesen. Dazu gehören die Spiegel-Therapie (MT), Interventionen mit virtueller und augmentierter Realität sowie Augenbewegungs- Desensibilisierung und reprocessing (EMDR).
Es scheint, dass kein einzelnes Therapiekonzept wirksam sein kann, weil der Phantomschmerz auf mehreren Mechanismen beruht oder bei jedem Patienten auf einem anderen. Das muss bei künftigen Studien berücksichtigt werden. WE
Quelle: Aternali A et al.: Recent advances in understanding and managing phantom limb pain. F1000Res 2019; 8
ICD-Codes: G54.6

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