Deutsche Gesellschaft für Urologie, Hamburg, 20.-23.9.2000

Praxis-Depesche 23/2000

Unter der Gürtellinie ...

... erwarten den Urologen Herausforderungen vielfältiger Art, von unklaren Schmerzen über die komplizierte Pathophysiologie des Beckenbodens bis zur Tabuisierung sexueller Probleme.

Zum undankbaren Problem der nicht-karzinombedingten, chronischen, unklaren Beckenschmerzen aus urologischer Sicht vermittelte Prof. J. Thüroff, Mainz, eine klare Botschaft: Oberstes Gebot ist die Vermeidung verstümmelnder Operationen, die in der Vergangenheit nicht selten waren. Die Therapien sind so vielfältig wie die vermuteten oder tatsächlichen Ursachen. Dabei ist für Thüroff neben adäquater Schmerztherapie auch Platz für alternative Behandlungsansätze in Form von Akupunktur, Biofeedback oder Psychotherapie, um die Chronifizierung der Spastik zu vermeiden. In schwierigen Fällen sei auch eine perkutane Elektrostimulation einen Versuch wert - unbedingt sollte sie vor einer operativen Denervierung oder einem verstümmelndem Eingriff angewandt werden. Mehr Kooperation zwischen Gynäkologen und Urologen, aber auch von Seiten der Proktologen, mahnte Prof. W. Fischer, Berlin, beim Thema vaginale Rekonstruktion an. Notwendig ist nach seiner Überzeugung ein Umdenken bei der Bewertung des Beckenbodens bei allen Fachdisziplinen. "Dem Beckenboden kommt nicht nur eine Stützfunktion zu, die mit einer geschlechtsspezifischen Minderbelastbarkeit bei der Frau einhergeht; er ist integraler Bestandteil sämtlicher Öffnungs- und Verschlussfunktionen", betonte der Referent. Die Therapie müsse grundsätzlich an den Schwachpunkten ansetzen: Bei Beckenboden-Insuffizienz ist ein Muskeltraining nötig, bei Bindegewebsschwäche (Fasziendefekt) ein Gewebeersatz, bei schlaffer Vagina werden vaginale Plastiken in Kombination mit Kolposuspension nötig. Ungeklärt ist laut Fischer, ob sich die TVT-Schlinge (tension-free tape) hinsichtlich der langfristigen Ergebnisse mit der Burch-Suspension oder der Fascia-lata-Brückenplastik messen kann. Schwedische Beobachtungen lassen hier hoffen; hierzulande sind die Follow-up-Zeiten noch relativ kurz. Zumindest zeichne sich hier jedoch ab, dass der Einjahres-Erfolg bei Primärfällen vergleichbar, wenn nicht höher als bei gängigen Therapien liege. Bei Rezidiven stufte Fischer die Resultate als erheblich schlechter als in Primärfällen ein. Um bei derartigen Eingriffen optimale Ergebnisse zu erzielen, müssten alle beteiligten Ärzte etwa mehr zusammenarbeiten und dem Beckenboden mehr Aufmerksamkeit schenken. Neue Biomaterialien sind sowohl für Instrumente als auch als Gewebeersatz in Sicht. Recht weit fortgeschritten ist die Entwicklung von modifizierten Stents. Nach Angaben von Prof. H. Seiter, Rostock, verhindert eine Beschichtung mit Glycosamin hier Inkrustationen. Immer noch weitgehend experimentell dagegen ist das "tissue engineering", das in Zukunft den Ersatz von Blase und anderen Teilen des Harntrakts ermöglichen könnte. Praktisch gelöst sind die Probleme bei der Kultivierung und Züchtung des Urothels auf extrakorporalen Trägern, die in statischen oder dynamischen Reaktoren erfolgt. Ausschlaggebend für die Funktion sind "Anschluss" und Versorgung dieser Gewebe, Prothesen oder Organoide nach Implantation. Die notwendige Neoangiogenese etwa ist durch Wachstumsfaktoren zu beschleunigen - doch bis zur Verwirklichung des Traums vom Harnleiter- oder Blasenersatz durch tissue engineering sind noch zahlreiche Hürden zu nehmen. Nichts Neues zur medikamentösen Therapie, wohl aber Überraschendes zu den geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Ursachen sexueller Dysfunktionen und Nachdenkliches zur Befragung des "impotenten Paares": Prof. C. Stief, Hannover, zeigte anhand einer US-Studie auf, wie verschieden die Ursachen für die Sexualstörung bei Mann und Frau sind: Während Frauen an erster Stelle mangelnde Libido, gefolgt von Anorgasmie angeben, entsteht der Leidensdruck bei Männern aufgrund von Ejaculatio praecox, gefolgt von Versagensangst und erektiler Dysfunktion. Bei der Paardiagnose empfahl der Psychologe Prof. B. Strauß, Jena, neben dem somatischen Befund auch die Bedeutung der Störung für beide Individuen getrennt sowie innerhalb der Beziehung zu erheben. Als positiv werteten die Experten, dass durch die Einführung von Sildenafil die Probleme der Sexualität versachlicht sind und eine Entlastung diskutierbar ist.

Alle im Rahmen dieses Internet-Angebots veröffentlichten Artikel sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch Übersetzungen und Zweitveröffentlichungen, vorbehalten. Jegliche Vervielfältigung, Verlinkung oder Weiterverbreitung in jedem Medium als Ganzes oder in Teilen bedarf der schriftlichen Zustimmung des Verlags.

x