Wenn der Arzt die in seinen Augen am besten geeignete Therapie verschreibt, und der Patient „gehorcht“ (oder eben auch nicht), dann folgt dieses Vorgehen einem überholten paternalistischen Prinzip. Das Einholen eines „informed consent“ hingegen führt oftmals eher zu einem Informationsoverflow beim Patienten, anstelle ihn tatsächlich zum „Partner der Entscheidung“ zu machen. Es bedarf also verbesserter Kommunikationsstrategien zwischen Arzt und Patient. Das ist zum Beispiel in der Nephrologie besonders dann notwendig, wenn eine Entscheidung für oder gegen die Dialyse bei Patienten mit fortgeschrittener CKD getroffen werden muss.
SDM immer mehr neuer Standard
Wir befinden uns zunehmend in einer Ära der Patienten-zentrierten Versorgung, und SDM wird zunehmend zum neuen Standard. Entscheidend dabei ist die individualisierte Kommunikation und der interaktive Prozess zwischen Patient, Angehörigen und Arzt (bzw. aller mit der Versorgung betrauter „professionals“). Es geht nicht nur darum, alle verfügbaren medizinischen Informationen zu vermitteln; man muss als Arzt auch Einblicke in die Motivationslage des Patienten, seine Vorlieben, Werte und seinen Lebensstil erhalten. SDM ist dabei gekennzeichnet durch (nach Scheibler F et al., GGW 2005; 5: 23-31): Entscheidung zweier Personen, aktive Beteiligung beider an der Entscheidungsfindung, gegenseitige Information im Verlauf des Prozesses und Zustimmung zur Behandlungsentscheidung und Bereitschaft zur aktiven Umsetzung.
In den USA und Kanada empfehlen Nephrologen z. B., keine Dialyse ohne einen SDM-Prozess mit Patient und Familie zu beginnen. Die Renal Physicians Association der USA formulierte 2010, dass sich Patienten und Ärzte auf einen Behandlungsfahrplan einigen sollten.
Effekte des SDM – insbesondere bei chronischen Erkrankungen – sind u. a.:
- höhere Patientenzufriedenheit
- bessere Lebensqualität
- besseres Krankheitsverständnis
- Zunahme der wahrgenommenen Krankheitskontrolle und Rückgang des Leidens
- höhere Therapiekontrolle
In der Praxis nicht immer einfach
In der Praxis ist SDM allerdings noch nicht überall angekommen – obwohl Untersuchungen zeigten, dass Patienten, die sich an ein SDM-Gespräch erinnerten, auch die folgende Therapie positiver wahrnahmen (auch wenn diese die Lebensqualität beeinträchtigte!). Eine US-Studie ergab, dass 70% von befragten Dialyse- Patienten zuvor nicht über Risiken und die Belastung einer Dialyse informiert worden waren. 67% hatten den Eindruck, dass ihnen bzgl. des Dialysebeginns gar keine Wahl gelassen worden war. Auf der anderen Seite fällt es Nephrologen auch gar nicht so leicht, den Verlauf einer CKD präzise vorherzusagen: In einer kanadischen Studie gaben über 80% der Nephrologen an, keine ausreichenden Tools zur Verfügung zu haben, um den Verlauf der CKD valdie abzuschätzen, was sie aber als wichtige Voraussetzung für SDM ansahen.
Für die ADPKD beispielsweise (autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung), die im Verlauf zur Dialysepflicht führen kann, stellt die Mayo-Clinic ein (auch extern validiertes) Prädiktionstool online zur Verfügung, welches anhand von klinischen Daten die zukünftige eGFR abschätzen lässt – das kann in einem SDM-Gespräch eine wertvolle Information für ADPKD-Patienten und deren Ärzte darstellen:
http://mayocl.in/2tT7Tdr (in Englisch).
Ein Fachgruppen-unabhängiger 9-Punkte-Fragebogen für Patienten ermöglicht Ärzten, eine schnelle Rückmeldung zu erlangen, wie sehr sich der Patient in die Entscheidungsfindung involviert fühlt (Download des PEF-FB-9:
http://bit.ly/2tBX3JD).
Entscheidungshilfen für Patienten
Ein systematisches Review ergab, dass Patienten bei der Entscheidung für oder gegen eine Dialyse (wenig überraschend) zwischen Lebensqualität und Überlebensvorteil abwägen. Interessant allerdings war, dass sich zwei typische Bewältigungsstrategien in diesem Szenario abzeichneten: 1. Patienten, die das medizinische Problem kontrollieren möchten. Diese suchen nach Informationen und (professionellem) Rat, um die Kontrolle über die Situation (wieder) zu erlangen. 2. Patienten, die ihre Emotionen kontrollieren möchten. Diese nutzen häufiger Bewältigungsstrategien wie „falsche Hoffnung“, „Vermeidung“, „Abhängigkeit von anderen“ oder „passive Akzeptanz von therapeutischen Maßnahmen“.
Medizinische Entscheidungsprogramme (PDA, patient decision aid) können den SDM-Prozess unterstützen. PDA sind Werkzeuge oder Interventionen, die den SDM-Prozess strukturieren (in unterschiedlichen medialen Formen, z. B. Broschüre, Audio, Video, webbasiert). Zwei Cochrane-Reviews konnten deren Sinnhaftigkeit nachweisen: PDA führten zu mehr Wissen bei den Patienten und zu einer größeren Partizipation an der Entscheidung, die dann besser zur jeweiligen Lebenssituation des Patienten passte (z. B. ShERPa-DM, „My Kidney, My Choice“, YoDDA, CANN-NET, Ottowa-Tool; alle auf Englisch). Deutschsprachiges Material stellt z. B. die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie zur Verfügung (siehe Info-Kasten).
Allerdings, so die Autoren, muss man bei solchen SDM-Tools aufpassen, dass das „Informations- Pendel“ nicht zu weit in die Gegenrichtung ausschlägt und zu einem „frühzeitigen Fatalismus“ beim Patienten führt, bei dem der Arzt dazu neigt, die Lebensqualität mit einer neuen Therapie zu unter- und die Risiken der Therapie zu überschätzen. CB
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