Alles fing mit dem CHADS2-Score an, der seit je her eine der einfachsten Möglichkeiten darstellt, das Schlaganfall-Risiko von VHF-Patienten zu definieren. Er wertet das Vorhandensein von kongestiver Herzinsuffizienz (C), Hypertonus (H), Alter ≥75 Jahre (A), Diabetes (D) und Apoplex/ TIA (S) aus. Für jeden dieser Faktoren addiert man einen Punkt (für Apoplex 2), und es ergibt sich z. B. bei einem CHADS2-Score von 1 ein jährliches Schlaganfall-Risiko von 2,8%. Bei Patienten mit sehr niedrigem Schlaganfall-Risiko funktionierte dieser Algorithmus aber nicht ausreichend präzise, weshalb man eine erweiterte Version, den CHA2DS2-VASc-Score, entwickelte. Hier wurde das Patientenalter neu gewichtet (A2) und Gefäßerkrankungen wie pAVK, Myokardinfarkt oder aortale Verkalkung und das Geschlecht ergänzt (V + A + Sc).
Fachgesellschaften nicht einig
Der CHA2DS2-VASc-Score wird heute in allen relevanten VHF-Leitlinien zur Indikationsstellung für eine Antikoagulation empfohlen. Allerdings sind sich die europäischen und US-amerikanischen Fachgesellschaften nicht einig, ab welchem Score eine orale Antikoagulation (OAC, mit Vitamin-K-Antagonisten oder DOAK) begonnen werden sollte: Die ESC (European Society of Cardiology) empfiehlt die OAC ab einem CHA2DS2-VASc-Score von mindestens 1, die AHA (American Heart Association) erst ab mindestens 2.
Nun wurde, um das Dilemma der Risikobestimmung besonders bei Patienten mit geringem Apoplex-Risiko zu beheben, ein neuer Score entwickelt und validiert: ATRIA (Anticoagulation and Risk Factors in Atrial Fibrillation). ATRIA basiert auf dem CHADS2 und ergänzt diesen (1) um die Bewertung der Nierenfunktion, (2) um eine differenziertere Altersbewertung und (3) um den Faktor „Apoplex in Verbindung mit dem Patientenalter“ (siehe Abbildung). Dieser Score wurde nun bezgl. seiner Vorhersagegenauigkeit mit CHADS2 und CHA2DS2-VASc verglichen.
ATRIA performt besser
Die drei Risiko-Algorithmen wurden an einer UK-Kohorte von über 60 000 Patienten mit VHF zwischen 1998 und 2012 getestet. Berechnet wurde die „c-statistic“ (Konkordanz-Statistik), wobei ein c-Wert von über 0,5 für eine „Besserals- Zufall-Performance“ des Tests steht; je größer der Wert ausfällt, desto präziser vermag der Test, einen Apoplex vorherzusagen.
Für ATRIA ergab sich ein c von 0,70 und für CHADS2 und CHA2DS2-VASc von je 0,68. Der ATRIA war in seiner Vorhersage-Präzision demnach den beiden anderen überlegen. Insbesondere Niedrig-Risiko-Patienten wurden von ATRIA besser abgedeckt (40% lagen mit ATRIA in der „low risk“-Kategorie vs. nur 6,6% mit CHA2DS2-VASc (niedriges Risiko = weniger als 1% Apoplexe/Jahr). Die Verwendung des CHA2DS2-VASc führt demnach zu einer OAC-Überbehandlung von VHF-Patienten mit geringem Apoplex-Risiko. Gerade für Patienten, bei denen man sich am unteren Ende der Risikoskala nicht sicher ist, ob man antikoagulieren sollte oder nicht, könnte es sinnvoll sein, zusätzlich den ATRIA-Score zu bestimmen.